Das EuGH Urteil: Ein Pyrrhussieg

LEITARTIKEL   Luxemburger Wort  11.09.2017

Ein Pyrrhussieg

DANI SCHUMACHER

„Denn die Flüchtlinge, die in die beiden Länder geschickt werden, werden nie eine Chance haben.“

Nun ist es amtlich. Der Mehrheitsbeschluss der Ressortminister vom September 2015 zur Umverteilung der Flüchtlinge ist rechtens. Mit seinem Urteil bestätigt der Europäische Gerichtshof, dass die EU-Mitgliedstaaten die damals beschlossenen Aufnahmequoten erfüllen und Flüchtlinge aufnehmen müssen. Mit seinem Urteil erteilt der EuGH den Klägern in Ungarn und in der Slowakei, aber auch den Verweigerern in Polen und in der tschechischen Republik eine deutliche Abfuhr. Das Urteil ist ein Sieg für all jene, die weiter an eine Europäische Union der Solidarität glauben. Zumindest auf dem Papier.

Die Realität sieht nämlich anders aus. Denn auch die Solidarität der Willigen hält sich in Grenzen. Das im September 2015 unter luxemburgischem Vorsitz vom EU-Ministerrat beschlossene Relocation-Programm greift nicht, allen gegenteiligen Beteuerungen der EU-Kommission zum Trotz. Nicht einmal 30 000 in Italien und in Griechenland gestrandete Flüchtlinge haben nach zwei Jahren, nur wenige Tage bevor das Programm ausläuft, in einem anderen europäischen Land eine neue Bleibe gefunden. 120 000 sollten es sein. Die Umverteilung und die Quoten mögen rechtens sein, ein Erfolg sind sie nicht.

Es ist aber vor allem die Reaktion des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, die Europa einmal mehr ins Wanken bringt. Mit seinem abfälligen Kommentar zu dem Urteil der Luxemburger Richter rüttelt er an den Fundamenten der Europäischen Union. Man kann Entscheidungen des EU-Ministerrats, der EU-Kommission oder des EU-Parlaments anzweifeln und anfechten. Man kann aber nicht den Europäischen Gerichtshof als solchen infrage stellen. Mit seiner Aussage positioniert Orban sein Land, und in dessen Windschatten auch Polen, eindeutig außerhalb der gesamten europäischen Rechtsgemeinschaft, außerhalb dessen, was die Union in ihrem Innersten zusammenhält.

Orbans Gebaren hat System: Die rechtspopulistische Regierung in Ungarn – wie die in Polen – liegt auch im eigenen Land mit der Gerichtsbarkeit im Clinch. Im Glauben, dass sie allein im Besitz der absoluten Wahrheit sind, versuchen beide Regierungen seit geraumer Zeit, die Justiz an die Kandare zu nehmen. Dass Orban fast zeitgleich an die Solidarität eben jener Union appelliert, die er in Bezug auf die Aufnahme von Flüchtlingen ablehnt, und Gelder für den Zaun anfordert, den Ungarn an seinen Grenzen errichtet hat, ist mehr als ein Affront.

Am Ende wird die EU-Kommission Ungarn und die Slowakei wohl über den Weg eines Vertragsverletzungsverfahren und mittels millionenschwerer Bußgelder gegen ihren Willen dazu zwingen können, Flüchtlinge aufzunehmen. Doch auch dies wird nur ein Sieg auf dem Papier sein. Denn die Flüchtlinge, die in die beiden Länder geschickt werden, werden nie eine Chance haben. Sie werden nie willkommen sein, und das werden die Regierungen, aber auch Teile der Bevölkerung, sie deutlich spüren lassen. Der Streit, der die EU spaltet, wird auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen, und er geht zu Lasten von Italien und Griechenland, die die Hauptlast der Migrationswelle tragen.

Die Auseinandersetzung zeigt einmal mehr, dass die Migration, mehr noch als Finanzkrise und Brexit, die Bewährungsprobe der Union ist. In Brüssel wird zwar bereits an einem Nachfolgemechanismus für das Relocation-Programm gefeilt. Doch auch das wird nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sein, wenn nicht gleichzeitig das ganze Dublin-System überprüft und endlich an die veränderten Begebenheiten angepasst wird.

danielle.schumacher@wort.lu