Der Wahlkampf spielt sich jenseits der Realität ab

Solange die Hälfte der Bevölkerung von den Nationalwahlen ausgeschlossen wird, braucht man sich keinen wirklichkeitsnahen Wahlkampf zu erwarten.

Die Parteien müssen die Hälfte des Landes nicht einmal ansprechen.
Die Parteien müssen die Hälfte des Landes nicht einmal ansprechen. Foto: Gilles KAYSER

 

Wer jemandem im Ausland zu erklären versucht, worum es bei den Wahlen in Luxemburg geht, wird sich der Absurdität des diesjährigen Wahlkampfes schnell bewusst. Das Land steht vor einer akuten Wohnungskrise, die ohnehin stark ausgeprägten Ungleichheiten steigen weiter an, Luxemburg ist Spitzenreiter der Eurozone bei der Erwerbsarmut, das Schulsystem notorisch diskriminierend und in Sachen ökologischer Fußabdruck spielt das Land in der gleichen Liga wie Katar. Doch die regierungsfähigen Parteien wollen davon kaum etwas wissen.

Die CSV will mit Luc Frieden die Steuern für alle senken. Die LSAP surft auf dem Paulette-Lenert-Effekt und setzt dadurch mehr auf ein neu gewonnenes Selbstbewusstsein als auf Inhalte. Déi Gréng, die angesichts der herrschenden Klimakrise Alarm schlagen müssten, sind in der Defensive, um nur nicht den Eindruck zu erwecken, sie wollten etwas an der Lebensweise der Luxemburger ändern. Und die DP schwört auf Floskeln, Xavier Bettel und den Status quo.

Ein Großteil der Realitäten des Landes spielt im Wahlkampf einfach keine Rolle.

Die unbequeme Wahrheit dahinter will auch niemand – bis auf Nischen-Parteien wie Déi Lénk, Volt oder Fokus – wirklich thematisieren. Weil die Hälfte der Einwohner nicht an den Wahlen teilnimmt, spielt ein Großteil der Realitäten des Landes im Wahlkampf einfach keine Rolle. Besonders, da die nicht-wählenden Ausländer gleichzeitig zu den produktivsten und benachteiligsten Bevölkerungsgruppen gehören.

Die Einführung eines Ausländerwahlrechts würde das Problem schnell lösen. Die Parteien müssten die luxemburgische Gesellschaft dann in ihrer Gesamtheit ansprechen – sowohl sozio-ökonomisch als auch linguistisch. Damit würde sich das Themenfeld der lokalen Politik breiter aufstellen und der wahren Komplexität des Landes anpassen. Der eintönige Wahlkampf offenbart nämlich, dass die meisten Parteien sich um die gleichen Mittelschichtwähler streiten. Und das verhindert wiederum die politische Auseinandersetzung mit den brennenden Herausforderungen, vor denen das gesamte Land steht.

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Das Ausländerwahlrecht bekam 2015 per Referendum eine Absage und wäre demnach undemokratisch, lautet der ewige Einwand. Das mag stimmen, doch ändert das nichts an der Tatsache: ein Land, das die Hälfte seine Bevölkerung von der politischen Entscheidungsarena ausschließt, ist auf Dauer nicht tragfähig – und auch keine wirkliche Demokratie. Luxemburgs Bürger und Bürgerinnen verdienen und brauchen mehr, als ihnen der Wahlkampf 2023 zu bieten hat.