Viel Härte, wenig Solidarität
tageblatt 21. Dezember 2023
Reform EU-Parlament und Rat einigen sich auf Asylpaket
Foto: AFP/Stringer
Gerade noch rechtzeitig vor Weihnachten hat sich die EU auf eine große Asylreform geeinigt. Im Mittelpunkt stehen neuartige Grenzverfahren und Aufnahmelager, in die auch Kinder aufgenommen werden sollen. Die Umverteilung bleibt umstritten.
Sechs Monate vor der Europawahl haben sich Unterhändler des Europaparlaments, der Mitgliedstaaten und der EU-Kommission auf eine umstrittene Reform der Asylpolitik geeinigt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach in Brüssel von einer „historischen Einigung“.
Mit dem Deal, der am Mittwochmorgen nach zweitägigen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen vereinbart wurde, will die EU die „irreguläre“ Migration eindämmen, aber auch Rechtspopulisten einen Riegel vorschieben. Kritiker sagen, sie übernehme die Politik der Rechten und vergreife sich am Asylrecht.
Künftig sollen Asylverfahren bereits an den EU-Außengrenzen stattfinden, um Flüchtlinge mit geringen Aufnahmechancen an der Weiterreise zu hindern. Für die Grenzverfahren sollen geschlossene Lager geschaffen werden, betroffen sind auch Familien mit Kindern.
Der ehemalige luxemburgische Immigrationsminister Jean Asselborn wollte begleitete Kinder ursprünglich aus humanitären Gründen von den Grenzverfahren ausnehmen. Staaten mit besonders hohem „Migrationsdruck“ wie Italien oder Griechenland hatten auf den harten Regeln bestanden. Auf Drängen der osteuropäischen Staaten wurde zudem eine Krisenverordnung beschlossen, mit der die Regeln weiter verschärft werden können. Sie soll greifen, wenn Migranten „instrumentalisiert“ werden. Dies hat die EU zunächst der Türkei vorgeworfen. Zuletzt hatte Russland auf illegale Weise zahlreiche Menschen aus afrikanischen Staaten über die Grenze nach Finnland abgeschoben.
Mit den neuen Regeln, die auch eine lückenlose Erfassung der Migranten und Abschiebungen in „sichere Drittstaaten“ vorsehen, werde eine Lücke geschlossen, sagte Kommissionsvize Margaritis Schinas. Nach der Corona-Krise und dem Ukraine-Krieg stelle sich die EU nun auch der Migration. Ähnlich äußerten sich viele EU-Politiker. Sie sei „sehr stolz, dass wir mit dem Migrations- und Asylpakt Lösungen geliefert haben“, sagte EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. Dies werde das Vertrauen der Bürger vor der Europawahl wiederherstellen, hieß es in Brüssel.
EU-Staaten zu Solidarität verpflichtet
Neben Luxemburg hofften auch einige andere EU-Staaten darauf, dass die EU-Abgeordneten verhindern würden, dass auch Familien mit Kindern an der EU-Außengrenze in geschlossenen Lagern festgehalten werden. Doch am Ende zog das Parlament den Kürzeren. Selbst in der Fraktion der Grünen unterstützten nicht alle die luxemburgische Sicht. Eine große Koalition aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen gab in Brüssel den Ton an, auch die rechtskonservative EKR mischte eifrig mit.
Die Abgeordneten konnten zwar noch einige kleine Verbesserungen durchsetzen. So sollen alle Asylbewerber, die in ein ordentliches Verfahren kommen, einen Anspruch auf Rechtsberatung bekommen. Unbegleiteten Kindern will die EU mit einer besonderen Betreuung helfen.
Als Erfolg gilt auch der neue Solidaritätsmechanismus. Demnach werden künftig alle EU-Staaten dazu verpflichtet, Asylsuchende aufzunehmen. Allerdings können sich unwillige Staaten von der Aufnahme von Migranten freikaufen, indem sie 20.000 Euro pro Kopf und Jahr als „Kompensation“ in die EU-Kasse zahlen. Zudem sollen auch andere „Leistungen“, etwa Hilfe bei Migrations-Projekten in Drittstaaten, angerechnet werden.
Fluchtursachen anstatt Flüchtlinge bekämpfen
Somit bleibt fraglich, dass die Reform tatsächlich mehr Solidarität bringt. Grüne und Linke fürchten, dass die EU-Staaten am Ende lieber in neue Abschottungs-Projekte investieren, als dass sie mehr Migranten aufnehmen. Die „Festung Europa“ könnte so noch hermetischer werden.
„Die heutige Einigung bedeutet einen deutlichen Rückschritt für die Rechte von Flüchtlingen und Asylbewerber*innen und für die EU als angebliche Vertreterin der Menschenrechte“, erklärt die luxemburgische EU-Parlamentarierin Tilly Metz in einer Mitteilung. Die Grünen-Politikerin meint, dass sich Menschen, die vor Armut und den Auswirkungen des Klimawandels flüchten, nicht von „populistischen Slogans“ abhalten ließen, in die EU zu kommen. „Wir müssen endlich anfangen, Fluchtursachen anstatt Flüchtlinge in Not zu bekämpfen“, so Tilly Metz.
Ähnlich äußerten sich viele Menschenrechtsorganisationen. Amnesty International geißelte die Einigung als „menschenrechtlichen Dammbruch“ und urteilte: „Diese Reform wird die bestehenden Herausforderungen nicht lösen, sondern weiter verschärfen.“ (ebo/Red.)
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