„Leadership ist nicht zu verwechseln mit autoritärem Stil“ Luc Frieden
Warum Angela Merkel ein Vorbild für Luc Frieden ist und was konservativ sein für den neuen CSV-Parteipräsidenten bedeutet
POLITIK Luxemburger Wort 30. März 2024
„CSV geht mit Doppelspitzen ins Superwahljahr“, so lautete eine Schlagzeile im Frühjahr 2022. Doch im Frühjahr 2024 kommt sie mit einer Einzelspitze aus diesem Wahljahr heraus: Statt dem Duo Claude Wiseler und Elisabeth Margue ist seit Mitte März Premier Luc Frieden zugleich auch Parteichef der Christsozialen. Im Interview mit dem „Luxemburger Wort“ erklärt der 60-Jährige, warum diese Struktur aus seiner Sicht Sinn macht, welchen Führungsstil er an den Tag legen will, wie es um das konservative Erbe der CSV steht – und wo sich seine Parteienfamilie zu Rechtspopulisten
Luc Frieden will in seiner neuenRolle als Parteipräsident der CSV nicht ins Alltagsgeschäft eingreifen, sondern die großen Linien vorgeben. Foto: Marc Wilwert wie Viktor Orbán abgrenzt.
Luc Frieden, „mir si net rechts, mir si net lénks, mir si bei de Leit“ – so beschrieb Ihr Vorgänger Claude Wiseler die Ausrichtung der CSV. Wie würden Sie sie heute beschreiben?
Eine große Volkspartei der politischen Mitte.
Sie sind Premierminister und Sie sind zugleich neuerdings auch Parteichef. Das hat es in der CSV eigentlich so noch nicht gegeben. Warum wollen Sie beides?
Weil ich eine Kohärenz zwischen der Regierungsarbeit und den CSV-Positionen haben möchte. Weil ich sicherstellen möchte, dass die Hauptpunkte, mit denen die CSV in die Wahlen ging, auch umgesetzt werden und dass es eine Geschlossenheit innerhalb der Partei gibt. Ich weise auch darauf hin, dass in fast allen Ländern Europas, wo der Regierungschef aus der EVP kommt, er zugleich auch Parteichef ist. Irland, Finnland, Griechenland, Österreich, lange Zeit Deutschland unter Angela Merkel. Dieses Modell habe ich mir angeschaut. Und ich denke, das ist gut für diese Regierung und für die CSV.
Das Modell Merkel ging lange gut, aber gegen Ende hat es dann doch gekriselt. Auch weil Kanzlerin Merkel sich vielleicht nicht so pointiert zu Konfliktthemen äußern konnte, wie die Parteimitglieder es sich von ihrer Vorsitzenden gewünscht hätten.
Ich bin nicht so lange Regierungschef wie Frau Merkel. Ich glaube, dass es auch sehr viel Reibungspotenzial geben kann, wenn man in der umgekehrten Situation ist, wo der Regierungschef dauernd mit der Partei verhandeln muss. Zusätzlich zu den notwendigen Gesprächen, die ein Regierungschef mit seiner Parlamentsfraktion haben muss. Ferner möchte ich darauf hinweisen, dass ich von Vielen dazu ermuntert worden bin, für den Parteivorsitz zu kandidieren. Es war nicht meine spontane Idee, aber es hat nach meiner Spitzenkandidatur bei den Wahlen in den Augen Vieler Sinn gemacht, auch dieses Amt zu übernehmen.
Sie sprechen von Geschlossenheit in der CSV. In den vergangenen Wochen haben CSV- Parteikollegen zur Polarisierung beigetragen: der CSV-Abgeordnete Marc Lies, aber auch Herr Léon Gloden um das Bettelverbot.
Geschlossenheit heißt, dass man über Punkte diskutiert – das gehört zu einer großen demokratischen Partei – und dass man diese Politik dann geschlossen umsetzt. Das ist für mich wesentlich. Das haben wir gemacht bei der Ausarbeitung des Wahlprogramms. Die CSV steht zu dem Koalitionsprogramm, in dem die wesentlichen Punkte der CSV Niederschlag gefunden haben, und das möchte ich geschlossen umsetzen. In einer Demokratie hat man fünf Jahre, um sein Programm umzusetzen. Da bleibt keine Zeit für interne Streitigkeiten und eben die möchte ich auch durch diese Teamarbeit und diese Geschlossenheit vermeiden.
Muss man da im Zweifel auch mal mit der Faust auf den Tisch hauen?
Ich versuche das mit Argumenten, damit man nicht zur Faust übergehen muss. Bislang ist mir das sowohl in der Regierung als auch in der Partei gelungen. Aber wir stehen erst ganz am Anfang. Ich gehe davon aus, dass diese Geschlossenheit erhalten bleibt.
Wie würden Sie Ihren Führungsstil für die CSV beschreiben?
Positiver Leadership. Als Leader muss man zuhören. Als Leader muss man entscheiden. Und dann muss man umsetzen. Das sind die Attribute, mit denen ich meine Aufgaben sowohl in der Regierung als auch in der Partei, wie übrigens auch in meinen Funktionen in Privatunternehmen angegangen bin. Leadership ist nicht zu verwechseln mit autoritärem Stil.
Ist das mit der Doppelspitze bei der CSV nicht so gelungen?
Die Einzelspitze hängt zusammen mit der Funktion des Regierungschefs. In diesem Konzept Regierungschef-Parteivorsitz muss das die gleiche Person sein. Die anderen Ämter wie Vizepräsidenten und Generalsekretäre sind paritätisch aufgestellt, vom Geschlechter- wie vom Altersaspekt her. Daran liegt mir schon sehr viel.
Die CSV war lange in der Opposition und sie hatte Schwierigkeiten, ihre Form zu finden. Wie sehen Sie Ihre Parteikollegen in der Regierungs-Rolle?
Ich war zehn Jahre außerhalb des politischen Betriebes und somit der Opposition und das erleichtert es mir deshalb, mich in meine neue Rolle einzufinden. Im Großen und Ganzen, glaube ich, hat die neue Mannschaft der CSV in der Regierung und im Parlament keine Schwierigkeiten, sich in der neuen Rolle zurechtzufinden.
Die CSV hat sich immer als konservative Volkspartei definiert. Zugleich stützt die Partei noch die Homo-Ehe, will sich auch für Adoptionen weiter öffnen. Ist das noch konservativ oder was bedeutet konservativ heute?
Ich habe diesen Ausdruck konservativ nie benutzt, weil er mir im luxemburgischen Kontext zu rückwärtsgewandt ist. Ich möchte, dass die CSV eine moderne Volkspartei der Mitte ist. Ich möchte Luxemburg auf die Zukunft vorbereiten. Und ich möchte, dass wir eine offene Gesellschaft sind, in der wir respektvoll mit den Traditionen umgehen, aber offen sind für Entwicklungen in der Gesellschaft. Dafür steht die CSV – und die neue Regierung.
Wo ist angesichts der heftigen Diskussionen etwa um das Bettelverbot der soziale Flügel der CSV geblieben?
In meinen Augen hat die CSV keine Flügel. Die Stärke der CSV ist, dass sie es fertigbringt, Wirtschaft, Soziales und Ökologie miteinander zu verbinden. Der soziale Teil ist ein wesentlicher Teil, der sich mit den anderen zusammen entwickeln muss. Und ich stelle fest, dass die ersten Maßnahmen, die wir getroffen haben, sozialpolitische Maßnahmen waren, nämlich die Stärkung der Kaufkraft, indem wir die Steuern gesenkt haben, und die ersten Schritte betreffend Wohnungsbau.
Sie sprechen vom gleichwertigen Dreieck Ökologie, Wirtschaft und Soziales. Klimaschutz war neben Wohlfahrt ein Anliegen, das für die CSV unter Präsident Claude Wiseler „zur DNA gehörte“. Sie sorgten jüngst für Aufregung, weil Sie der Atomkraft das Wort geredet haben. Wie passt das zusammen?
Die CSV steht für erneuerbare Energien, das ist ein wesentlicher Teil unseres Wahlprogramms gewesen. Und dafür werden wir uns auch zusammen mit den Kollegen der DP in der Regierung einsetzen. Meine Aussage betreffend Atomkraft war eine Feststellung dessen, was in der Hälfte der EU-Mitgliedstaaten geschieht und hat keinen direkten Bezug auf die luxemburgische Politik. Aber viele Länder in der Europäischen Union glauben, dass die Ziele der Klimaneutralität nicht ohne Atomenergie erreicht werden können. Das habe ich beschrieben, das ist aber nicht der Hauptfokus unserer Politik in der Energiefrage.
Sie sagen, das sei nicht der Hauptfokus, aber ist es eine neue Position der CSV?
Die Frage stellt sich für Luxemburg nicht, da wir keine Atomkraftwerke haben und keins bauen werden. Wir werden aber den anderen nicht vorschreiben, was sie in Europa mit ihren Geldern finanzieren sollen.
Wenn die französische Regierung nun auf den Bau von Atomkraftwerken neuer Generation abzielt, ergibt das neue Argumentationsmöglichkeiten, dann ältere Reaktoren wie Cattenom eher abzuschalten?
Unsere Position war immer und bleibt, dass wir für die Schließung der Kraftwerke an den Grenzen Luxemburgs sind. Sei es in Belgien, sei es in Frankreich. Daran hat sich nichts geändert.
Ihr Parteikollege, Umweltminister Serge Wilmes, hat sich ebenfalls zur Atomkraft geäußert. Und man hatte den Eindruck, er habe Ihren Aussagen die Spitze nehmen wollen. Gibt es hier einen Dissens zwischen Ihnen und Herrn Wilmes?
Nein, wir haben eine geschlossene Meinung, sowohl in der Partei wie in der Regierung über das, was wir in der Energiefrage machen wollen. Der Fokus liegt klar auf den erneuerbaren Energien. Wir müssen aber feststellen, dass es in Europa auch Atomenergie gibt. Und als kleines Land sollte man eine gewisse Bescheidenheit haben gegenüber unseren europäischen Freunden, wenn es um dieses Thema geht.
In einem Interview haben Sie Offenheit signalisiert, mit Viktor Orbán zu reden. Die CSV-Europaabgeordneten halten jedoch deutlich Abstand zu Rechtslibertären wie Orbán. Wo steht die CSV in dieser Frage?
Die CSV ist eine proeuropäische Partei. Und sie steht daher zusammen mit denen, die Europa konstruktiv gestalten möchten. Und sie grenzt sich ganz klar von antieuropäischen und extremistischen Parteien von rechts und von links ab. Herr Orbán gehört nicht zur Europäischen Volkspartei.
Die Parteienfamilien in Europa werden derzeit neu gemischt. Eine Frage, die sich dabei stellt: Würden Sie als Teil der EVP ein strategisches Bündnis mit der konservativen ECR, also den ganz Rechten, befürworten?
Ich würde davon sehr stark abraten. Die politische Mitte braucht nicht die Extreme, um stark zu sein. Im Gegenteil, das würde die politische Mitte schwächen. Im Übrigen sind die proeuropäischen Positionen der Europäischen Volkspartei inkompatibel mit denen von rechtsextremen Parteien in Europa.
Sie haben das Programm der EVP für die Europawahlen mit verabschiedet. Darin wird ein deutlich schärferes Migrationsrecht gefordert, unter anderem, dass Asylverfahren künftig in Drittstaaten abgewickelt werden könnten. Wie reagieren Sie auf die scharfe Kritik daran?
Die mediale Darstellung des EVP-Wahlprogramms entspricht nicht ganz dem Inhalt des Wahlprogramms. Ich glaube schon, dass das Thema Migration ein sehr wichtiges ist, das man vernünftig angehen muss. Die Fragestellung war mehr: Wie gehen wir mit der in einigen Ländern sehr stark wachsenden Anzahl von Asylanträgen um? Und da stellt sich die Frage, ob einige dieser Asylanträge nicht auch in den direkten Nachbarstaaten dieser EU-Staaten behandelt werden können. Die CSV sieht das nuancierter.
Im jüngsten Politmonitor haben Sie mit sieben Punkten gut zugelegt. Auch Ihre Agrarministerin Martine Hansen schneidet gut ab. Hat Sie das überrascht?
Nein, das hat mich gefreut. Aber ich weiß auch, dass Umfragen Momentaufnahmen sind und dass man als Politiker über eine längere Zeit bewertet wird.
Wie gedenken Sie Ihr Amt als CSV-Präsident im Zusammenspiel mit Ihrem Team auszuüben? Sie können ja nicht jeden Tag hier in der Parteizentrale vorbeischauen.
Ich werde mich darauf beschränken, die großen politischen Richtlinien mitzugestalten und dafür zu sorgen, dass die Geschlossenheit in der Partei bestehen bleibt. Die tagtägliche Arbeit liegt in den Händen der Generalsekretäre und auch der Vizepräsidenten. Im Übrigen ist die Aufgabe der Partei eine andere, wenn man in der Regierung ist, als in der Opposition. Die CSV hat sich in den vergangenen Jahren als Oppositionspartei modernisiert und verjüngt. Viele gute Arbeit wurde unter Claude Wiseler und Elisabeth Margue geleistet. Darauf kann das neue Team aufbauen.