Jung, arbeitssuchend, geflüchtet

Flüchtlinge auf dem ArbeitsmarktLogo lw

Die Zahl der bewilligten vorläufigen Beschäftigungserlaubnisse steigt – dennoch zögert manches Unternehmen bei der Einstellung.

Manches Unternehmen scheut sich davor, aus ihrer Heimat geflohene Menschen einzustellen. Nicht nur wegen Sprachschwierigkeiten.
Manches Unternehmen scheut sich davor, aus ihrer Heimat geflohene Menschen einzustellen. Nicht nur wegen Sprachschwierigkeiten. Foto: Gilles Kayser
  • Marco Meng, Luxemburger Wort , wort online 27.April 202

In den letzten Jahren kamen Millionen Menschen nach Europa, zumeist, um hier Schutz vor Krieg oder wirtschaftlicher Not in den Heimatländern zu suchen. Auch, um politischer Verfolgung zu entgehen. Da allenthalben über Fachkräftemangel und Personalknappheit gesprochen wird: konnten Geflüchtete die Personallücke schließen? Nein. Und das hat verschiedene Gründe.

„Wenn allgemein von Flüchtlingen die Rede ist, muss man drei Gruppen unterscheiden“, erklärt die Arbeitsagentur Adem. Da sind zum einen Asylbewerber, die keinen freien Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Diese können eine vorläufige Beschäftigungserlaubnis (AOT) erhalten, die frühestens sechs Monate nach Einreichung des Asylantrags beantragt werden kann, „wenn bis dahin keine Entscheidung im Asylverfahren getroffen wurde, und dieser Verzug nicht dem Asylbewerber angelastet werden kann.“

Eine solche „vorläufige Beschäftigungserlaubnis“ ist nur für eine bestimmte berufliche Tätigkeit und einen bestimmten Arbeitgeber gültig. Sie gilt für sechs Monate und ist verlängerbar. Sie begründet aber weder den Anspruch auf einen Aufenthaltstitel noch auf etwaiges Arbeitslosengeld, erklärt die Adem.

Der Innendekorateur Lucien Schweitzer beschäftigt Geflüchtete aus verschiedenen Ländern.
Der Innendekorateur Lucien Schweitzer beschäftigt Geflüchtete aus verschiedenen Ländern. Foto: Gilles Kayser

Die Zahl der bewilligten vorläufigen Beschäftigungserlaubnisse ist im Laufe der Jahre kontinuierlich gestiegen, von 21 im Jahr 2019 über 46 im Jahr 2022 auf 117 im vergangenen Jahr. Der Anstieg 2023 begründet sich insbesondere durch die Tatsache, dass die Adem seit September 2023 für die Ausstellung einer AOT keinen Arbeitsmarkttest mehr durchführen muss“, teilt die Behörde mit. Zuvor musste erst versucht werden, die offene Stelle mit einer Person zu besetzen, die über eine unbeschränkte Arbeitserlaubnis verfügt.

Zugang zum Arbeitsmarkt – aber keine Sprachkenntnisse

Anerkannte Flüchtlinge, denen internationaler Schutz gewährt wurde, haben unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie können sich arbeitsuchend melden und auch von Angeboten wie Weiterbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen profitieren.

Waren Mitte 2017 bei der Adem 444 anerkannte Flüchtlinge arbeitsuchend gemeldet, von denen knapp 70 Prozent aus Syrien, dem Irak oder dem Iran kamen, so waren es 2023 laut Adem im Jahresdurchschnitt 660. Rund 60 Prozent war zwischen 30 und 44 Jahre alt, 51 Prozent hatte keinen oder einen nur niedrigen Schulabschluss, 22 Prozent hatten einen Hochschulabschluss.

Wer in seiner Heimat eine bestimmte Tätigkeit ausübte, will hier natürlich am liebsten auch im selben Beruf weiterarbeiten. Das geht aber nicht immer.
Wer in seiner Heimat eine bestimmte Tätigkeit ausübte, will hier natürlich am liebsten auch im selben Beruf weiterarbeiten. Das geht aber nicht immer. Foto: Gilles Kayser

Die dritte Gruppe sind Flüchtlinge unter temporärem Schutz, das sind vor allem geflüchtete Menschen aus der Ukraine. In Luxemburg hielten sich Ende Februar laut Eurostat rund 4.000 Flüchtlinge aller Altersklassen aus dem Land auf. Auch sie haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt, gleichwohl ebenfalls eine große Hürde zu überwinden: die Sprache. Denn nur knapp zehn Prozent der ukrainischen Arbeitsuchenden verfügen laut Adem über ausreichende Kenntnisse der französischen und gerade einmal zwei Prozent der deutschen Sprache. Kenntnisse in Luxemburgisch sind so gut wie gar nicht vorhanden, und „weniger als ein Drittel der ukrainischen Arbeitsuchenden spricht Englisch auf einem für den Arbeitsmarkt ausreichenden Niveau“, so die Adem.

„Bewirbt sich jemand, dann sehe ich keine Nationalität, sondern einen Menschen, der einen Job sucht“

Lucien Schweitzer, warum haben Sie diesen Schritt gewagt und in Ihrem Betrieb Flüchtlinge eingestellt?

Das habe ich nicht erst jetzt getan. Ich habe einen Mitarbeiter, der schon 20 Jahre bei mir als Maler und Fassadenbauer ist, und der aus dem Ex-Jugoslawien kommt. Ein Mitarbeiter von uns kommt aus Eritrea und hat seine Gesellenprüfung abgelegt, zwei andere, ebenfalls aus Eritrea, sowie drei Mitarbeiter aus Afghanistan machen eine Berufsausbildung bei uns.

Was sind die besonderen Schwierigkeiten, wenn Menschen mit Schutzstatus eingestellt werden?

Das Hauptproblem ist die Sprachfähigkeit. Man müsste von staatlicher Seite aus den Leuten, die hierhin kommen, sagen, dass sie eine der gängigen Sprachen im Land lernen müssen. Sie sollen sich die Sprache heraussuchen, die ihnen am besten liegt. Das wäre ein großer Schritt nach vorne. Alle Unternehmen, die Flüchtlinge einstellen, haben dieses Sprachproblem. Kommunikationsfähigkeit ist aber äußerst wichtig. Das würde den Geflüchteten das Berufsleben wie auch das Privatleben in Luxemburg vereinfachen.

Wie kommen Sie mit den verschiedenen Mentalitäten und Kulturen zurecht?

Wenn sich bei mir jemand vorstellt und ich stelle ihn ein, dann ist das für mich zuerst einmal ein Mensch. Positiv fällt mir die Lust auf, etwas zu machen. Und weil sie sich fürs Handwerk entschieden haben, haben sie bestimmte Fähigkeiten, und das sieht man auch gleich. Und wenn eine Arbeit gut gemacht ist, ist jeder zufrieden, der Kunde genauso wie der Handwerker, der etwas geleistet hat.

Mancher sagt jetzt vielleicht: „die“ nehmen Luxemburgern den Job weg?

Wie ich vorhin sagte: bewirbt sich jemand bei mir, dann sehe ich keine Nationalität oder Herkunft, sondern einen Menschen, der einen Job sucht. Er muss mir zeigen, dass er das wirklich will und Lust darauf hat. Seit 1980, seit der Betrieb besteht, haben wir mehr als 60 Menschen ausgebildet, darunter auch Luxemburger, Portugiesen, Franzosen oder Deutsche, und die Priorität war immer die Motivation, die der Auszubildende mitbringt, nicht etwa seine Herkunft.

Das Unternehmen Lucien Schweitzer wurde 2021 von der Handwerkskammer als bester Ausbildungsbetrieb Luxemburgs ausgezeichnet.

Deswegen hat die luxemburgische Arbeitsagentur zusammen mit dem Nationalen Spracheninstitut spezielle berufsbezogene Intensivsprachkurse in ausgewählten Sektoren konzipiert, in denen ein hoher Bedarf an Arbeitskräften herrscht. Die Beschäftigungsquote von Personen mit temporärem Schutz (15 bis 64 Jahre) lag Ende März 2024 bei 31,2 Prozent.

Rund 70 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine, die bei der Adem arbeitsuchend gemeldet sind, verfügen über einen Hochschulabschluss. Schaut man sich allerdings an, in welchen Bereichen die Geflüchteten aus der Ukraine, die eine Arbeit gefunden haben, tatsächlich tätig sind, muss man feststellen, dass ein Großteil in Berufen arbeitet, in denen keine oder nur geringe berufliche Qualifikationen erforderlich sind, wie zum Beispiel im Hotel- und Gaststättenwesen, im Bau oder im Reinigungsgewerbe. „Dies ist vor allem mit mangelnden Sprachkenntnissen und Schwierigkeiten bei der Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse zu begründen“, teilt Silke Brüggebors von der Adem mit.

Rund 30 Prozent der berufstätigen Personen aus der Ukraine arbeitet im Gesundheits- und Pflegesektor, in dem in Luxemburg ein erheblicher Fachkräftemangel herrscht.

Langer Weg zum Arbeitsmarkt

„Es gibt viele Fallbeispiele, wo Flüchtlinge erfolgreich im Handwerksbereich eingesetzt werden“, sagt Gilles Walers, zuständig bei der Handwerkskammer für Soziales, Beschäftigung und Ausbildung. Allerdings sei der Weg zum Arbeitsmarkt sehr lang und nicht immer einfach für die Flüchtlinge wie auch für die Betriebe.

„Da gibt es sehr viele Hürden, die zwar gut gemeint sind, die es allerdings auch schwer machen, in der Praxis Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren“, so Walers.

Tatsächlich sind die Schutzsuchenden zumeist im erwerbsfähigen Alter – auf der anderen Seite beherrschen sie oft die Sprache des Ortes nicht, in dem sie sich jetzt wiederfinden. Sie müssen sich an ein anderes Klima, an eine andere Kultur anpassen. Das allein ist schon nicht leicht. „Dann kommen sie in diese Mühle“, sagt Walers, „wo es um Aufenthaltsgenehmigungen geht, und finden sich dann manchmal in Strukturen wieder, wo sie eigentlich verboten bekommen zu arbeiten, weil sie noch nicht den richtigen Status haben.“

Es wäre deswegen zu begrüßen, wenn diese Menschen möglichst bald auf den Arbeitsmarkt kämen, sagt Walers, nicht nur, weil das einen geregelten Tagesablauf bietet.

Wer hierhin kommt, kann oft keine der Landessprachen. Eine große Hürde vor dem Eintritt in die Berufswelt.
Wer hierhin kommt, kann oft keine der Landessprachen. Eine große Hürde vor dem Eintritt in die Berufswelt. Foto: Gilles Kayser

Bestimmte Schwerpunkte an Berufen, wo Geflüchtete im Handwerk Arbeit finden, gibt es laut Walers eigentlich nicht: „Es ist die ganze Bandbreite des Sektors vertreten“, sagt er.

Hat jemand früher in Syrien als Maurer gearbeitet, so liegt nahe, dass er auch hier als Maurer arbeiten möchte. Allerdings sind Baumaterialien und Bauvorschriften hierzulande ganz andere als in Syrien, weswegen in solchen Fällen eine neue Berufsausbildung erforderlich ist.

Wir sind der Meinung, dass jede Hand, die arbeiten kann, auch arbeiten soll.

Gilles Walers
Handwerkskammer

Für einen Betrieb bedeutet das aber zumeist, einen Lehrling zu bekommen, der nicht bei null anfängt, sondern schnell lernt, da er ja bereits über Berufserfahrung verfügt. Dennoch dürfte es so manches Unternehmen geben, das lieber doch keine Flüchtlinge beschäftigt, einfach aus dem Grund, weil die administrativen Prozeduren abschrecken.

Einwanderungsland Luxemburg

Im Jahr 2022 kamen 17.759 Personen aus der EU sowie der Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein nach Luxemburg. Hinzu kommen 18.861 Aufenthaltstitel, die Drittstaatsangehörigen erteilt wurden, darunter 5.605 Arbeitnehmer und 5.166 Familienangehörige. Unter den Neuzuwanderern aus Nicht-EU-Ländern sind Inder die häufigsten Migranten im Großherzogtum. Am 1. Januar 2023 hatten 313.407 Ausländer ihren Wohnsitz in Luxemburg, darunter 245.753 EU-Bürger und 67.654 Drittstaatsangehörige.

2023 betrug die Anzahl der Personen, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, 2.265, davon kamen 30 Prozent aus Syrien, 15 Prozent aus Eritrea und jeweils fünf Prozent aus dem Sudan, Venezuela oder Afghanistan. 772 Personen erhielten letztes Jahr vorübergehenden Schutz und 3.647 die Verlängerung des vorübergehenden Schutzes.

Eine Vereinfachung und Beschleunigung von Prozeduren sind darum für Handwerks- wie auch für die Handelskammer wichtig. „Wir sind der Meinung, dass jede Hand, die arbeiten kann, auch arbeiten soll“, sagt Walers.