Regierung streitet mit den Piraten um Steuergelder
Das Nationale Aufnahmeamt (ONA) versucht nach einer Prüfung durch die Finanzinspektion, Geld von der Piratenpartei für die Entwicklung einer Sprach-App zurückzufordern.
Die luxemburgische Regierung kämpft mit den Piraten um die Rückzahlung von Steuergeldern, die sie der Partei für die Entwicklung einer Sprach-App für Geflüchtete gezahlt hat, nachdem die Finanzinspektion „unzulässige“ Rechnungen aufgedeckt hatte.
Das Office National de l’Accueil (ONA), das für die Unterbringung von Asylbewerbern zuständig ist, vergab 2016 und 2017 zwei öffentliche Aufträge im Gesamtwert von über 207.000 Euro an die Piratenpartei, um eine App zu entwickeln, mit der einfache Wörter und Sätze aus dem Arabischen ins Luxemburgische übersetzt werden können.
Sprach-App als Hilfe zur Integration von Flüchtlingen
Die App „Mobile Assisted Language Tool“ (MALT) sollte Flüchtlingen, insbesondere aus Syrien, helfen, sich in Luxemburg niederzulassen, und war Teil der luxemburgischen Reaktion auf die Flüchtlingskrise im Jahr 2015, als 2.447 Asylsuchende im Großherzogtum ankamen, die Hälfte davon aus Syrien und dem Irak, einem weiteren arabischsprachigen Land.
MALT war eines von 40 Projekten in 164 Einzelverträgen, die von Luxemburg und der EU kofinanziert wurden, nachdem das Land 2014 15,5 Millionen Euro aus dem EU-Fonds für Asyl, Migration und Integration in Höhe von insgesamt 3,1 Milliarden Euro für den Zeitraum 2014 bis 2020 erhalten hatte.
Die Piratenpartei, die als gemeinnütziger Verein (asbl) eingetragen ist, erhielt den Zuschlag nach einer Ausschreibung, an der sich nur Nichtregierungsorganisationen beteiligen konnten.
Eine reguläre Prüfung durch die Inspection Générale des Finances (IGF) Ende 2022, die der „Luxembourg Times“ und dem „Luxemburger Wort“ vorliegt, ergab jedoch, dass Rechnungen der Piratenpartei in Höhe von rund 96.000 Euro „unzulässig“ waren – von 158.000 Euro, die die Partei für das Projekt beantragt hatte, und 135.000 Euro, die sie zum Zeitpunkt der Prüfung tatsächlich erhalten hatte.
Die Übersetzungs-App war einer von 38 Verträgen, die die IGF auf Anfrage Brüssels untersucht hatte, teilte das Finanzministerium in einer E-Mail mit. Sie allein mache aber ein Drittel aller „unzulässigen“ Rechnungen aus, die die Haushaltsprüfer bei fünf dieser Verträge entdeckt hätten – zwei davon gingen an die Piratenpartei, so das Finanzministerium.
ONA fordert Geld von Piratenpartei zurück
Im Anschluss an die Prüfung versuchte das ONA, das Geld zurückzufordern, wie aus einem Briefwechsel zwischen dem Ministerium und der Partei hervorgeht, der dem „Wort“ und der „Luxembourg Times“ vorliegt.
Am 21. Juni 2023, nach der Prüfung, forderte der Direktor des ONA, Yves Piron, vom Vorsitzenden der Piratenpartei und Abgeordneten, Sven Clement, zusätzliche Dokumente an, darunter Gehaltsabrechnungen, Arbeitsverträge, Lieferantenrechnungen, Belege für die Lieferung der App und eine Erklärung, warum die App nicht mehr im App-Store verfügbar war. Die Piraten übermittelten diese Unterlagen mit Schreiben vom 17. Juli desselben Jahres.
Am 16. November 2023 forderte Piron die Partei jedoch zur Rückzahlung von rund 92.000 Euro auf. „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diesen Betrag auf das Konto der Staatskasse überweisen würden“, heißt es in dem nicht unterzeichneten Schreiben. Es enthielt außerdem eine Zusammenfassung der Prüfung durch die Haushaltsbehörde, die die Partei laut eigenen Angaben aber nie vollständig erhalten hat.
Im Mittelpunkt des Streits stehen die Feststellungen der IGF, der zufolge das gekaufte IT-Material in keinem Zusammenhang mit dem Projekt stehe und einige Rechnungen für externe Dienstleister und ein Werkvertrag nicht innerhalb der in der Ausschreibung der Regierung vorgesehenen Frist eingereicht wurden. Allein diese „unzulässigen Kosten“ machen laut Prüfung rund 83.000 der 92.000 Euro aus, die der Staat zurückfordern könnte.
Piron war bereits Direktor des Nationalen Aufnahme- und Integrationsbüros (OLAI), das 2020 in das ONA umgewandelt wurde, als 2015 der erste Auftrag für die App vergeben wurde.
Kurz vor Weihnachten, am 22. Dezember 2023, antwortete der Anwalt der Piratenpartei, Laurent Heisten, dem ONA und wies die Behauptung zurück, die Rechnungen seien unzulässig, da sie notwendig und im Rahmen des Projekts gewesen seien und daher erstattet werden müssten.
Der Betrag, den die Regierung zurückfordern will, ist für die kleine politische Partei, die 2018 erstmals in die Chamber eingezogen ist und im vergangenen Jahr einen dritten Sitz errungen hat, eine beträchtliche Summe. Nach den letzten öffentlich zugänglichen Daten entspricht dies fast der Hälfte ihrer Gesamteinnahmen vom Jahr 2021 und etwas mehr als zwei Dritteln der staatlichen Mittel, die sie in diesem Jahr erhalten hat.
Bis Juni 2024 muss das ONA noch rechtliche Schritte einleiten, um das Geld zurückzufordern. „Die nächsten Schritte werden derzeit von dem ONA und der IGF analysiert. Sobald diese Analysen abgeschlossen sind, können Schlussfolgerungen gezogen werden“, teilte das Amt in einer E-Mail mit. Es lehnte es ab, sich dazu zu äußern, warum es mehr als sechs Monate seit der Zahlungsverweigerung der Piratenpartei gedauert hat, weitere Schritte einzuleiten.
Die Prüfung, die von der Big-Four-Firma KPMG im Auftrag der IGF durchgeführt wurde, kostete den luxemburgischen Steuerzahler 12.800 Euro – etwa 15 Prozent der Summe, die der Staat von der Piratenpartei zurückfordern will.
Pirat Sven Clement weist Prüfungsvorwürfe der IGF zurück
Sven Clement von der Piratenpartei wies in einem Interview jegliches Fehlverhalten zurück.
„Der erste Vertrag lief über ein Jahr und wir haben ihn 2016 unterschrieben. Dann haben wir gemacht, was wir machen mussten. Wir haben angefangen, Kostenvoranschläge für die Dinge einzuholen, die wir [für die App] geplant hatten, und weil wir das zu einem vernünftigen Preis machen wollten, haben wir niedrige Preise angesetzt“, sagte Clement. Er setzte den gleichen Preis an, den seine private Firma Clement & Weyer Consulting ein Jahr zuvor einer anderen NGO in Rechnung gestellt hatte.
Doch kein externer Dienstleister war bereit, zu diesem Preis an der Sprach-App zu arbeiten. So beauftragte und bezahlte die Partei als Auftraggeberin einige Parteimitglieder und der Partei nahestehende Personen, darunter Clements eigene Firma, mit der Arbeit an dem Projekt.
Clement betonte, dass die Partei keinen finanziellen Nutzen aus dem Projekt gezogen habe und der Einsatz externer Dienstleister bereits vor dem IGF-Audit vom ONA genehmigt worden sei.
„Wenn jemand von einem solchen [Regierungs-]Auftrag profitieren will, wird er nicht drei Jahre auf die Rückerstattung warten“, sagte Clement. Seine Partei habe für die Entwicklung der App in Vorleistung gehen müssen.
„Ich finde das ganze Verfahren ein wenig bizarr, weil ich weiß, dass der Rechnungshof diese Angelegenheit mehr als einmal untersucht hat und seit Jahren untersucht“, sagte er über die Prüfung und die Anordnung, einen großen Teil des Geldes zurückzuzahlen. Er kritisierte, dass die Finanzinspektion der Piratenpartei nicht ermöglicht habe, die Ergebnisse offiziell anzufechten
„Würden wir es heute anders machen? Natürlich“, so Clement. Während das ONA eigenen Angaben zufolge über weitere Schritte nachdenkt, enthüllt die Prüfung der IGF mehrere auffällige Probleme in der Buchhaltung und Aktenführung der Regierungsbehörde, zeigt aber auch, wie eng Clements geschäftliche Interessen mit seiner Rolle in der Partei verflochten waren.