ONA verweist Familie mit schwer kranker Mutter aus Unterkunft
Eine 72-jährige Libyerin und ihre Kinder sollen am Montag ihre Unterkunft verlassen. Eine Bleibe haben sie bisher nicht.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mensch das so entschieden hat“, sagt die libysche Frau, die wie ihre Verwandten anonym bleiben möchte, ungläubig. Sie, ihre Schwester, zwei Brüder und die 72-jährige Mutter sollen die Unterbringungsstruktur des Nationalen Aufnahmeamtes (ONA) bis Montag um 13 Uhr verlassen. Wie es nun weitergehen soll, wissen sie nicht. „Meine Mutter hat schwere gesundheitliche Probleme“, sagt die Frau mittleren Alters. „Sie ist psychisch krank und hat unter anderem eine Niereninsuffizienz.“
Die Familie flüchtete 2019 aus ihrem Heimatland nach Luxemburg. Hier beantragten sie als Flüchtlinge Asyl, erzählt einer der Brüder. „Nach über zwei Jahren erhielten wir eine Ablehnung. Danach beantragten wir Asyl aus humanitären Gründen, also einen subsidiären Schutz“, fährt er fort. „Wir sind aus unserer Heimat geflüchtet, weil es dort nicht sicher ist. Und das ist noch heute so. Dort kämpfen alle möglichen Milizen um Ölfelder, es ist nicht sicher.“
Die Geschwister bangen im Fall einer Rückführung nach Libyen daher um ihr Leben, vor allem aber um das ihrer Mutter. „Sie muss regelmäßig medizinisch versorgt werden, aber das ist dort nicht möglich, die Straßen sind nicht sicher.“ Doch gemäß einem Schreiben vom zweiten Oktober plant das ONA eine solche Rückführung.
Der verschwundene Ablehnungsbescheid
In dem Schreiben teilt das ONA den Familienmitgliedern zunächst mit, dass der Verwaltungsgerichtshof das Ersuchen der Familie auf subsidiären Schutz per Entschluss am 23. Mai abgelehnt hat. Eine Textzeile, die die Geschwister schockiert: „Diese Mitteilung haben wir nie erhalten, und auch unser Anwalt – dem wir übrigens für seinen Einsatz sehr dankbar sind – nicht! Aus unserer Sicht läuft der Antrag noch, und so lange können wir mindestens bleiben.“
Des Weiteren werden die Familienmitglieder im Schreiben angehalten, sich bei der Direction générale de l‘Immigration einzufinden, „um Ihre freiwillige Rückkehr zu organisieren.“ Bei einer freiwilligen Rückkehr werden die Betroffenen nach Ablehnung ihres Antrags auf einen internationalen Schtuzstatus bei der Rückreise unterstützt. Andernfalls kann eine erzwungene Rückkehr erfolgen, wenn die Personen Luxemburg nicht innerhalb von 30 Tagen nach dem Verfahrensabschluss verlassen haben.
Die Familie vermutet, dass es irgendwo in der luxemburgischen Bürokratie hakt. „Wir können uns nicht erklären, wie ein Mensch, der unsere Situation kennt, die Entscheidung treffen kann, uns und vor allem unsere Mutter aus der Einrichtung zu werfen und nach Libyen rückzuführen“, meinen sie. „Bei diesem Wetter kann selbst eine Nacht draußen für meine Mutter den Tod bedeuten“, meint die jüngere der beiden Töchter.
Keine Arbeit trotz Qualifikation
Die letzten Jahre habe die Familie kein Geld ansparen können und stehe daher nun mittellos da. „Dabei haben wir uns zigmal bei der ADEM gemeldet. Wir sind qualifiziert, wollen hier arbeiten, uns bei Luxemburg für die Aufnahme bedanken und etwas zurückgeben.“ Doch dort sei ihnen gesagt worden, aufgrund ihres derzeitigen Status könne man ihnen keine Arbeit vermitteln.
„Ich wollte hier als Fahrer arbeiten, aber mein libyscher Führerschein wird nicht anerkannt“, meint der ältere Bruder. „Dabei bin ich schon mit einem Mietwagen durch Deutschland gefahren, als es noch zweigeteilt war. Jetzt ist mein Heimatland hundertfach geteilt zwischen den Milizen.“
Dabei haben sie die Luxemburger Behörden bisher immer hilfsbereit erlebt, wie die ältere Tochter erzählt. „Meine Mutter muss zur regelmäßigen Behandlung nach Kirchberg. Anfangs waren wir in Düdelingen untergebracht, und die regelmäßigen Fahrten, vor allem während des Feierabendverkehrs, waren sehr belastend.“ Nachdem sie das ONA auf diesen Umstand angesprochen hatten, seien sie unter den Ersten gewesen, die 2023 in die Struktur nahe dem Krankenhaus in Kirchberg umziehen konnten.
Hoffnung auf Hilfe
Nun hofft die Familie auf eine Klärung der Situation in letzter Sekunde – auch für einen weiteren Bruder, der wegen psychischer Probleme durch seine Erfahrungen in Libyen derzeit im Centre Hospitalier Neuro-Psychiatrique in Ettelbrück untergebracht sei.
Sie verstehen nicht, wieso ihnen trotz all ihrer Bemühungen keine andere Behörde in ihrer Situation helfen könne. Das ONA, meinen sie, komme ihnen inzwischen wie ein eigenständiger Staat vor, obwohl es sich um eine untergeordnete Behörde des Ministeriums für Familie, Solidarität, Zusammenleben und Unterbringung von Flüchtlingen handelt.
Da das Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“ kurzfristig am Sonntag stattfand, war eine Stellungnahme der zuständigen Behörden bisher nicht möglich.