Im Winter wird die Wanteraktioun zum Zufluchtsort für viele Obdachlose – auch von außerhalb Luxemburgs.

Wer sind diese Menschen? Ein Besuch vor Ort

Die Realität von Obdachlosen zwischen Hoffnung und Überleben

Tomás aus Litauen bezeichnet sich selbst als „Traveller“. Er hat sich bewusst für das Leben auf der Straße entschieden. Obwohl es hart ist, ist er jetzt glücklicher.

SIMONE MOLITOR Luxemburger Wort 20.Januar 2025

„Luxemburg ist super“, sagt Omar, beißt in sein Sandwich und redet mit vollem Mund

begeistert weiter. „Mir gefällt es hier sehr, sehr gut.“ Er kommt gerade aus der

Wanteraktioun (WAK), wo er im Winter übernachtet. Vor zwei Jahren hat er sich allein

von Tunesien nach Luxemburg durchgeschlagen. Damals war er noch minderjährig,

wurde in einer Struktur des ONA aufgenommen und betreut. Inzwischen ist er 19 Jahre

alt, sein Aufenthaltsrecht ist abgelaufen, und er lebt auf der Straße, wie er uns erzählt.

Eine Perspektive hat Omar derzeit nicht. Auch kein Geld oder Aussicht auf eine Arbeit.

Doch das scheint ihn nicht allzu sehr zu belasten. Er wirkt fröhlich. Freunde würden ihm

helfen. Zurück in seine Heimat will er nicht. „In Tunesien ist das Leben nicht gut. Hier ist

alles besser. Ich mag Luxemburg sehr“, wiederholt er, bevor er weiterzieht, um den Tag

bei der Stëmm vun der Strooss zu verbringen. Abends wird er wieder in der WAK schlafen.

Warme Mahlzeiten und ein Schlafplatz im Winter

Wie Omar nutzen derzeit viele Obdachlose die WAK, wo sie warme Mahlzeiten und einen

Schlafplatz bekommen. Sobald die Nachtstruktur morgens um 9 Uhr schließt, fahren die

meisten mit dem Bus ins Bahnhofsviertel oder besuchen später wieder die Tagesstruktur

der WAK von 12 bis 16 Uhr – ein Angebot, das auch Andreas aus Polen schätzt.

Vor allem wegen der Wanteraktioun hat es ihn nach Luxemburg verschlagen. Jeden Tag

schläft und isst er dort und erzählt, dass er einen „contrat d’hébergement“ hat. „Ich bin

sehr zufrieden. Alles ist einwandfrei. Alle sind sehr nett“, sagt er. In Deutschland, den

Niederlanden oder Belgien, wo er ebenfalls schon war, sei es schwieriger gewesen,

erzählt er. „In Holland bekommt man keinen Schlafplatz. In Berlin ist es auch schwierig,

da ist alles auf zehn Tage begrenzt“, berichtet der 62-Jährige, der seit über 20 Jahren auf

der Straße lebt. Dieses Leben hat sichtbare Spuren bei ihm hinterlassen. Eine Rückkehr in

seine Heimat schließt er aus. Ob er in Luxemburg bleiben wird, weiß er noch nicht. „Mal

sehen. Vielleicht gehe ich auch Richtung Süden, wo es wärmer ist“, sagt er lachend.

Zwischen Hoffnungslosigkeit und Lebensfreude

Um die Mittagszeit verbringen wir eine Stunde vor dem Schotterweg, über den die

Bedürftigen vom Bus zur WAK kommen. Nur wenige wollen tatsächlich mit uns sprechen,

bei anderen scheitert die Kommunikation an der Sprachbarriere. Auch mit Mpho aus

Südafrika gestaltet sich das Gespräch deshalb etwas schwierig. Er ist erst vor wenigen

Tagen zusammen mit einem Freund, beide Mitte 20, in Luxemburg angekommen. Die

vergangenen Nächte haben sie in der WAK verbracht. Wie es weitergeht, wissen sie noch

nicht. Am Nachmittag haben sie einen Termin bei den Behörden.

„Das Leben auf der Straße ist hart. Aber wir haben keine Wahl“, sagt Mpho. Die Kälte

setzt ihm zu. In Südafrika habe er Probleme gehabt, über die er aber nicht weiter

sprechen möchte. „Dort war es für uns nicht mehr sicher“, gibt er zu verstehen.

Luxemburg kannte er vorher nicht. „Ich habe es im Internet gefunden und dachte, es

wäre ein guter Ort für einen Neustart.“

Tomás ist gesprächiger und gut gelaunt. Er stammt aus Litauen und ist seit zwei Wochen

in Luxemburg. Zuvor war er in Belgien unterwegs. „Ich bin ein Reisender“, erzählt er

lachend. „I’m travelling homeless“, beschreibt er es. Wie er nach Luxemburg kam? „Ich

bin einfach in einen Zug gestiegen. Luxemburg, habe ich mir gesagt, warum nicht? Ich

bin frei, niemand sagt mir, wohin ich gehen muss und wann. Nur ich allein entscheide.

Ich weiß nie, was der Tag bringt. Vielleicht springe ich morgen wieder in einen Zug und

lande in Paris oder Spanien.“

Seit acht Monaten ist er nun schon „auf Reisen“. „Davor habe ich gearbeitet, als

Schreiner, viele Jahre. Jetzt lebe ich auf der Straße“, erklärt der 54-Jährige, ohne einen

Anflug von Bedauern. „Es war meine Entscheidung“, betont er. „Ich hatte das System

satt. Jetzt bin ich glücklicher.“

Dass das Leben auf der Straße hart ist, kann auch Tomás nicht leugnen. Eine Rückkehr

„ins System“ kommt für ihn dennoch nicht infrage. An diesem Tag schaut er zum ersten

Mal in der WAK vorbei, jedoch nur, um eine warme Mahlzeit zu bekommen. Übernachten

möchte er dort nicht. „Damit habe ich schlechte Erfahrungen gemacht. Vielleicht ist es ja

hier anders, aber ich schlafe lieber draußen. Da hat man immer frische Luft“, sagt er und

grinst. Auch bei Minusgraden? „Na und? Ich habe zwei Beine, wenn es sehr kalt ist, laufe

ich ein bisschen herum und dann wird mir warm“, lacht er laut. „Und wenn es tagsüber

zu kalt wird, steige ich einfach in den Zug und fahre durchs Land. Dass der öffentliche

Transport hier gratis ist, finde ich toll.“