Schreckgespenst Migration
EDITORIAL Keine Feierlaune vor dem „Festival des migrations“
Isabel Spigarelli ispigarelli@tageblatt.lu 15.März 2025
Die Hallen der Luxexpo stehen bereit, die Pop-up-Redaktion des Tageblatt ist aufgebaut: Heute beginnt das „Festival des migrations, des cultures et de la citoyenneté“. Zum 42. Mal kommen am Wochenende die unterschiedlichsten Vereine und Organisationen zusammen, um Luxemburgs kulturelle Vielfalt zu zelebrieren. Zu Recht, sollte man eigentlich meinen.
Luxemburg wandelte sich über die Jahrhunderte hinweg vom Auswanderer-zum Aufnahmeland: Brachen Menschen aus Luxemburg noch im frühen 19. Jahrhundert nach Amerika oder Brasilien auf, lockten die florierende Eisen-und Stahlindustrie sowie später der Dienstleistungs-und Finanzsektor Arbeitssuchende aus aller Welt zurück ins Großherzogtum. Inzwischen besteht die luxemburgische Bevölkerung zu 47 Prozent aus Personen ausländischer Herkunft. Nach Angaben der Regierung werden 170 Nationalitäten erfasst. Hinzu kommen die rund 228.000 Pendelnden aus der Großregion, die hierzulande täglich ihrer Arbeit nachgehen. Forschende und Institutionen aus Luxemburg, darunter das „Centre de documentation sur les migrations humaines“, befassen sich seit Jahren mit diesen Entwicklungen. Die Einführung des neuen Lehrstuhls „Histoire et migrations“ an der Universität Luxemburg Anfang März war somit längst überfällig.
Migration gehört zu Luxemburg wie der „Roude Léiw“ oder die „Bouneschlupp“. Die Feierlaune vor dem Festival bleibt dennoch aus. Zu tief sitzt die Sorge über diejenigen, die Migration zunehmend als Schreckgespenst begreifen. Nach „Polindex 2024“ sind das in Luxemburg vor allem die Älteren: Mehr als 40 Prozent der Ü45-Jährigen luxemburgischer Nationalität definieren Immigration als „question préoccupante“, genauso wie ein Drittel ausländischer Gleichaltriger. Hält die Jugend das „vivre-ensemble“ nicht für ein Problem, sehen das 25 Prozent der Ü65-Jährigen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, anders.
Wer kann es ihnen angesichts des öffentlichen Diskurses verübeln? Vom Küchentisch bis zu den Bänken in den Parlamenten wird Migration zurzeit vorwiegend negativ konnotiert und sie wurde 2015/2016 gar zur Krise deklariert. Selbstverständlich gehören bestehende Probleme in Sachen Migrations-und Asylpolitik konstruktiv diskutiert. Der Mehrwert von Zuwanderung, der wissenschaftlich belegt ist, sollte dabei jedoch nicht in Vergessenheit geraten. Genauso wenig wie die Menschen, über deren Existenz und fundamentale Rechte Außenstehende urteilen. Stattdessen erleben wir die Verschärfung der Debatte und eine Hierarchisierung: In Zuwanderungsbehörden – auch in Luxemburg – wird über den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mehrwert von Personen aus Haut und Knochen entschieden, als wären sie austauschbare Ware. Wer nichts taugt, fliegt. Nach welchen Kriterien? Oft bleibt das für die Betroffenen rätselhaft, wie unsere Serie „Asylbewerber zwischen Hoffen und Bangen“ zeigt.
Trotzdem prangen auf der Website des „Festival des migrations, des cultures et de la citoyenneté“ unter anderem die Logos der Ministerien für Inneres, Kultur und die Unterbringung von Flüchtlingen. Dabei bekleckerte sich keines davon in den vergangenen Monaten mit Ruhm: Sie alle standen wegen ihres harschen Umgangs mit Asylsuchenden in der Kritik. Der ausgewiesene Künstler Alborz Teymoorzadeh durfte Anfang März nicht mal zu seiner eigenen Vernissage anreisen. Ob auch die Minister für das Festival ausgeladen wurden? Der Denkzettel wäre jedenfalls angebracht.