Die Brückenbauer
FESTIVAL DES MIGRATIONS Kapverdische Künstler erinnern an 50 Jahre Unabhängigkeit
Dieses Jahr feiern die Kapverdischen Inseln 50 Jahre Unabhängigkeit von Portugal. Vier in Luxemburg lebende Künstler nutzen die Gelegenheit für einen interkulturellen Austausch und um an ihre eigenen Wurzeln sowie an die Gemeinsamkeiten mit der einstigen Kolonialmacht zu erinnern.

Von links: Nelson Neves, Elisangela Semedo, Paulo Santos, Manuel Dias
Fotos: Editpress/Julien Garroy

Nelson Neves
Im Brückenbauen hat Nelson Neves Erfahrung. Geboren in Santo Antão, der nördlichsten Insel des Archipels, hat er seine Kindheit dort verbracht. Als Jugendlicher folgte er seinen Eltern nach Luxemburg, wo er die Schule besuchte, eine Lehre als Dekorateur absolvierte und schließlich Künstler wurde. Sein Werk vor allem aus Acryl, das von figurativer bis abstrakter Kunst reicht, ist sowohl in Luxemburg als auch in Kap Verde bekannt. Seit etwa 25 Jahren hat Neves sie in mehreren Ländern ausgestellt. Seine Workshops haben unzählige Kinder und Jugendliche besucht. Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete, mittlerweile 52-jährige Luxemburger wird nicht zufällig als „Brückenbauer“ bezeichnet. Eines seiner Gemälde trägt den Titel „Pont culturel“. Und so heißt auch das Projekt, das er zusammen mit drei anderen Künstlern mit kapverdischen Wurzeln repräsentiert: „PontKultural“.

Elisangela Semedo
Das Projekt zielt darauf ab, die kapverdische Kunst und Kultur in einem internationalen Kontext durch Wanderausstellungen und Workshops in sieben Ländern mit kapverdischen Botschaften zu fördern – es soll am 5. Juli in einer großen Ausstellung auf Santiago gipfeln, der größten Insel mit der Hauptstadt Praia. „Das Projekt symbolisiert den kulturellen Reichtum und die Vielfalt des Landes“, sagt Elisangela Semedo. Geboren in Santiago, hat die junge Frau lange Zeit in Portugal gelebt, bevor sie 2012 nach Luxemburg kam. Die Grafik-und Webdesignerin koordiniert das Projekt. Zu den vier Künstlern gehören neben Nelson Neves auch Paulo Santos, Manuel Dias und Delvis Reis. „Der Ansatz des Projekts besteht darin, luxemburgische und ausländische Künstler, die in Luxemburg leben, abwechselnd einzubeziehen. Sie sollen die vier kapverdischen Künstler auf internationale Reisen begleiten“, erklärt Elisangela Semedo. „In dem jeweiligen Gastland wird ein nationaler Künstler eingeladen, seine Kunstwerke auszustellen. Ziel ist es, den kulturellen Austausch zu fördern und einen Dialog zwischen den Kulturen der Kapverden, Luxemburgs und des Ziellandes zu schaffen.“
Elisangela Semedo erzählt, wie es zu dem Projekt kam: „Paulo hat uns kontaktiert.“ Paulo Santos lebt seit 2012 in Luxemburg. Der 50-Jährige stammt aus Mindelo, der Hauptstadt von São Vicente und oft auch als „kulturelle Hauptstadt“ von Kap Verde bezeichnet, Heimat unter anderem der berühmten Sängerin Cesária Evora, Grande Dame und Ikone der kapverdischen Musik. „Viele junge Leuten in Luxemburg mit kapverdischen Wurzeln kennen die Kultur und die Geschichte ihrer Vorfahren nicht“, sagt Paulo Santos. „Wir wollen ihnen diese näherbringen.“ Auf seinen Gemälden sind sowohl Natureindrücke als auch Musiker aus Kap Verde zu sehen. Dass Mindelo vor allem mit Musik in Verbindung gebracht wird, habe dazu geführt, dass andere Kunstformen etwas in den Hintergrund gerückt sind. Was sich in den vergangenen Jahren etwas geändert hat, unter anderem durch das Theaterfestival, das wichtigste Ereignis in diesem Bereich auf den Inseln.
Amílcar Cabral als nationale Ikone
Das weiß auch Manuel Dias, der lange in Portugal lebte, Sohn eines Portugiesen ist und die portugiesische Staatsbürgerschaft besitzt. Er erinnert daran, dass sich seine Künstlerkollegen früh mit der Unabhängigkeit befassten. In seinen Bildern, darunter viele Zeichnungen unter anderem mit Kohle, stellt er viele Persönlichkeiten aus Kultur und Politik dar – nicht zuletzt Amílcar Cabral. Wenn er über den Nationalhelden seiner Heimat spricht, der sowohl auf Wandbildern, Fotos in Cafés als auch auf T-Shirts omnipräsent ist, gerät Manuel Dias ins Schwärmen. „Cabral hat eine überragende Bedeutung für Kap Verde.“ Der linke Politiker, Dichter und Intellektuelle, geboren in Giunea-Bissau, aber Sohn kapverdischer Eltern, gilt vielen als Befreiungsheld. Cabral besuchte in Mindelo die Schule. Er fiel 1973 im Alter von 48 Jahren einem Attentat zum Opfer, zwei Jahre vor der Unabhängigkeit des Landes. Ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der portugiesischen Kolonialherrschaft wird in Kap Verde über die Bedeutung Cabrals diskutiert, der 2024 hundert Jahre alt geworden wäre.
Im vergangenen Oktober stimmte das kapverdische Parlament dem Vorschlag eines nationalen Organisationskomitees für die Feierlichkeiten zum Jubiläum der Unabhängigkeit grundsätzlich zu. Janine Lélis, die Staatsministerin für Verteidigung und territorialen Zusammenhalt, sprach sich für die Beteiligung aller Gemeinschaften auf den Inseln und in der Diaspora aus. Und Präsident José Maria Neves kündigte an, eine öffentliche Debatte über die Entwicklungsagenda für die nächsten 50 Jahre anzustoßen. Seine Partei: der ursprünglich sozialistische und aus dem 1956 von Amílcar Cabral gegründeten Partido Africano da Independência da Guiné e Cabo Verde (PAIGC) hervorgegangene sozialdemokratische und an Afrika orientierte Partido Africano da Independência de Cabo Verde (PAICV),
Die restriktive Kolonialpolitik des sogenannten Estado Novo beinhaltete u.a. ein diskriminierendes „Eingeborenenstatut“ (1954), das die Bevölkerung in „Eingeborene“ und „Assimilierte“ einteilte – nur Letztere besaßen halbwegs politische Rechte. Die anfangs noch friedliche Unabhängigkeitsbewegung entwickelte sich allmählich zu einer bewaffneten Widerstandsorganisation. Anfang der 1960er Jahre begann ein offener militärischer Konflikt. Der PAIGC kämpfte fortan in einem Guerillakrieg sowohl in Guinea-Bissau als auch in Kap Verde gegen die portugiesische Kolonialherrschaft und deren Armee. Der blutige Konflikt zog sich lange hin. Die Nelkenrevolution in Portugal von 1974 verstärkte die Bestrebungen zur Unabhängigkeit, die schließlich am 5. Juli 1975 ausgerufen wurde.
Von der Unabhängigkeit zur Demokratie
Der PAIGC etablierte in Kap Verde und Guinea-Bissau, das 1973 unabhängig geworden war, einen sozialistischen Staat. Cabrals Halbbruder Luís Cabral, Präsident von Guinau-Bissau, trat für eine Einheit mit Kap Verde ein. Doch Letzteres ging einen eigenen Weg. Nach einem Militärputsch 1980 wurde Luís Cabral abgesetzt. Der PAICV/ PAIGC hielt in Kap Verde seine Ein-Parteien-Herrschaft bis zum Fall der Sowjetunion 1991 aufrecht. Heute hat der Inselstaat mit Premierminister José Ulisses de Pina Correia e Silva vom Movimento para a Democracia (MpD) einen eher liberal-konservativen Regierungschef, der bei der Parlamentswahl im April 2021 im Amt bestätigt wurde, und mit José Maria Neves einen Präsidenten, dessen Partei auf die Unabhängigkeitsbewegung zurückgeht. Und es hat eine Demokratie, die zu den stabilsten in ganz Afrika gehört.
Nelson Neves weist auf die lange Tradition der Emigration von Kapverdiern und die große kapverdische Diaspora hin. Paulo Santos pflichtet ihm bei: „Wir haben Erfahrungen als Auswanderer und haben dadurch den Reichtum vieler unterschiedlicher Kulturen kennengelernt.“ Er bestätigt zumindest indirekt, wie bereichernd Migration sowohl für ein Herkunfts-als auch für das Zielland sein kann. Ein Schicksal, das die Kapverdier mit den ehemaligen Kolonialherren aus Portugal teilen. Auch sie sind ein Volk der Emigranten wie auch der Immigranten. „Hinzu kommt, dass die Diktatur sowohl für die Portugiesen als auch für uns Opfer forderte“, sagt Nelson Neves „Viele Oppositionelle aus Portugal kamen ins Konzentrationslager Campo do Tarrafal auf Santiago.“ Und er weiß: „Es gibt noch heute Leute, die sagen, dass Kap Verde keine Unabhängigkeit gebraucht hätte und besser unter der Herrschaft Portugals geblieben wäre.“

Manuel Dias
Die kapverdische Erfolgsgeschichte, was politische Stabilität und wirtschaftliche Fortschritte angeht, dürfte diese Stimme zumindest wohl zum Teil verstummen lassen. Nelson Neves und seine Mitstreiter sind angetreten, mit ihrer Kunst und ihren Workshops den jüngeren Generationen etwas mit auf den Weg zu geben. „Es gibt überall in der Welt Hass“, sagt Nelson Neves. „Deshalb kämpfe ich für Toleranz und Respekt, und gegen Klischees, Missverständnisse und Vorurteile.“ Weit über den 5. Juli, den Unabhängigkeitstag hinaus, der zumindest ein Höhepunkt des Projekts „PontKultural“ sein wird.

Paulo Santos