Armutsbekämpfung: Die selektive Sozialpolitik von CSV und DP
von Pol Reuter reporter.lu
9. Dezember 2024
Die Armutsbekämpfung ist ein erklärtes Ziel der Regierung. In der Tat erhöhten CSV und DP bereits manche Sozialhilfen und reduzierten generell die Steuerlast für Bürgerinnen und Bürger. Dagegen nimmt der Druck auf akut von Armut betroffene Menschen zu. Eine Analyse.
Vor gut einem Jahr gelang es Luc Frieden (CSV), die Presse zu verblüffen. Entgegen allen Erwartungen an die neue Regierung erklärte der damalige „Formateur“ während der Verhandlungen mit der DP den Kampf gegen die Armut zur Priorität des Koalitionsprogramms. Seitdem wurden gleich mehrere Steuersenkungen und andere Maßnahmen beschlossen, die, ob pauschal oder gezielt, den unteren Einkommensbeziehern zugute kommen.
Gleichzeitig zeigt sich aber die Kehrseite des konservativ-liberalen Ansatzes bei der Armutsbekämpfung. So ist etwa der Kurs gegenüber Obdachlosen härter geworden. Einerseits erkennt die Politik öffentlich den Kaufkraftverlust sowie das steigende Armutsrisiko an – und geht zumindest ansatzweise dagegen vor. Andererseits lässt sie bei der ebenso unbestreitbaren extremen Prekarität im Land das gleiche Problembewusstsein vermissen.
Was wie ein Widerspruch klingt, ist im Grunde keiner: Die Regierung unterscheidet letztlich zwischen produktiven und unproduktiven Armen. Die Unproduktiven sollen aus dem Stadtbild und am besten auch aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verdrängt werden. Für die anderen soll ihre Arbeit sich wieder lohnen – ohne dabei jedoch die Wirtschaft mit in die Verantwortung zu nehmen. Bei aller politischen Korrektheit der CSV-DP-Regierung tritt im Bereich der Sozialpolitik dann doch der ideologische Kern der Koalitionsparteien ziemlich offen zutage.
Sozial ist, was steuerlich entlastet
Die Finanzpolitik von Schwarz-Blau kann mit einem Wort zusammengefasst werden: entlasten. Davon profitieren nicht nur, aber eben auch die ärmeren Bevölkerungsschichten. Manche kritisieren dabei die fehlende Gegenfinanzierung, doch diese Frage soll sich quasi von selbst lösen. Luc Frieden bemühte bereits im Wahlkampf die These, wonach allein durch mehr Kaufkraft und erhofftes Wachstum neues Steueraufkommen generiert werden könne.
Selbst die Kritiker von Schwarz-Blau müssen anerkennen: Die Regierung hat in diesem Bereich geliefert, und zwar relativ zügig. So hat die Koalition etwa als eine ihrer ersten Amtshandlungen die Steuertabelle um vier Indextranchen inflationsbereinigt. Das sind 1,5 Tranchen mehr, als noch von Blau-Rot-Grün beschlossen. Weitere 2,5 Tranchen werden dann auch noch im kommenden Monat bereinigt. Damit fehlen nur noch 1,5 Tranchen, um die Steuertabelle komplett zu bereinigen.
Den Zorn der Gewerkschaften zog die Regierung um Finanzminister Gilles Roth (CSV) gleich in mehreren Bereichen auf sich. Der Konflikt um die Kollektivverträge könnte dabei ebenfalls auf Kosten der Ärmsten in der Gesellschaft gehen. (Foto: Mike Zenari)
Diese Maßnahme sorgt nominal vor allem für Besserverdienende für Entlastungen. Prozentual profitieren allerdings hauptsächlich Geringverdiener davon. Zusätzlich wurden deshalb auch die Steuerkredite erhöht. In der Steuerklasse 1 zahlen demnach Bürger, die bis zu 100.000 Euro brutto jährlich verdienen, zwischen 440 und 1.313 Euro weniger Steuern. Für Bürger der Steuerklasse 1A, zu der Alleinerzieher, Witwen oder Witwer und Alleinstehende über 65 gehören, sind die Entlastungen deutlich höher. Liegt ihr Jahreseinkommen zwischen 37.000 und 60.000 Euro, fallen die wenigsten Steuern an. Alleinerziehende mit einem Einkommen von weniger als 50.000 Euro erhalten sogar zwischen 600 und 2.900 Euro vom Staat zurück.
Während das Armutsrisiko für Alleinerziehende laut dem Statistikamt „Statec“ 2022 zwischen 27,5 und 32,2 Prozent lag, stieg dieser Wert mit zunehmender Anzahl an Kindern im Haushalt auf zwischen 43,7 und 48,1 Prozent. Insgesamt machen sie allerdings nur 3,6 Prozent aller Luxemburger Haushalte aus. Dadurch zielen diese Entlastungen nicht nur auf die Richtigen, sie sind auch noch für den Staat verhältnismäßig günstig – wäre da nicht die komplette Bereinigung der Steuertabelle.
Von „guten“ und „schlechten“ Armen
Diese Neuerungen passen auch zur Diskurswende von Luc Frieden. Anstatt von Armutsbekämpfung spricht der Premierminister vor allem davon, dass die Kinderarmut bekämpft werden müsse. So verständlich diese Priorität auch ist: Damit rücken aber andere Armutsbetroffene in den Hintergrund. Denn generell gilt: Die steuerlichen Entlastungen bringen logischerweise nur jenen Menschen etwas, die überhaupt Steuern zahlen.
Für die Allerärmsten der Bevölkerung, die etwa kein festes Einkommen oder keine Wohnung haben, hat die Regierung nur wenig übrig. Zwar wird das Mindesteinkommen „Revis“ im kommenden Jahr um 2,6 Prozent steigen, aber das ist nur indirekt auf einen Regierungsbeschluss zurückzuführen. Tatsächlich wird das Revis, der Mindestlohn und das Mindesteinkommen für Menschen mit Behinderung (RPGH) alle zwei Jahre an die Lohnentwicklung des Durchschnittseinkommens angepasst. Bei denen, die es am nötigsten hätten, fällt die „Entlastung“ also am geringsten aus.
Hinzu kommt der zusätzliche Druck, den die Regierung auf eben jene prekäre Bevölkerungsgruppe ausübt. Durch eine Entscheidung von Innenminister Léon Gloden (CSV) konnte die Stadt Luxemburg in Teilen der Hauptstadt das Betteln verbieten. Gleichzeitig legte der Minister ein Gesetzesprojekt zur Verschärfung des Platzverweises vor. Das Ziel beider Maßnahmen ist offensichtlich, die akute, sichtbare Armut aus dem Stadtbild zu entfernen.
Dies zeigt sich auch bei den verschärften Zutrittsbedingungen für die „Wanteraktioun“ (WAK). Erstmals hat das Familienministerium, das aktuell Max Hahn (DP) untersteht, gemeinsam mit der „Dräieck asbl“ den Zugang zur WAK an Bedingungen geknüpft. Wer nicht nachweisen kann, seit mehr als drei Monaten in Luxemburg zu leben, darf bei Temperaturen über null Grad nur noch drei Nächte in der Winteraktion unterkommen. Danach hat man die Wahl, das Land freiwillig zu verlassen oder auf der Straße zu übernachten.
Armut bekämpfen, Inflation abdämpfen
Die pauschale Armutsbekämpfung paart sich bei CSV und DP also mit einer ebenso ausgeprägten sozialen Härte. Das Prinzip: Gute, sprich arbeitende Arme werden unterstützt, während Arbeits- oder Obdachlose im Extremfall sogar bestraft werden, wenn sie öffentlich um Unterstützung betteln.
Letztlich ist die Armutsbekämpfung der Regierung aber ein Synonym für das Abdämpfen der Inflation. Durch den partiellen Wegfall des Preisdeckels beim Strom ist im kommenden Jahr mit einer Erhöhung der Preise um rund 30 Prozent zu rechnen. Aus diesem Grund beschloss die Regierung kürzlich, die Energieprämie zu verdreifachen. Diese steigt demnach von mindestens 200 auf 600 Euro und maximal 400 auf 1.200 Euro im Jahr. Die Prämie war noch von der vorigen Regierung eingeführt worden und ist nach Einkommen gestaffelt. Das gilt auch für die Teuerungszulage, die ebenfalls um zehn Prozent erhöht wird.
Seit Januar dieses Jahres ist Betteln in der Hauptstadt ein illegaler Akt: Léon Gloden (CSV) hieß eine entsprechende Änderung der Polizeiverordnung der Stadt Luxemburg gut. Es war die erste Amtshandlung des neuen Innenministers. (Foto: Mike Zenari)
Solche Maßnahmen sind allein schon deshalb notwendig, weil diese Zulagen nahezu keinen Einfluss auf das Armutsrisiko haben. Auf Basis von Daten von 2022 errechnete das Statec, dass, selbst wenn jeder Berechtigte die Teuerungszulage und die Mietsubvention in Anspruch nehmen würde, das Armutsrisiko nur von 18,4 auf 18,2 Prozent fallen würde. Inwiefern die Erhöhung der Zulagen nun tatsächlich Auswirkungen auf das Armutsrisiko hat, ist schwer ersichtlich. Denn sie soll ja vor allem die steigenden Strompreise abfedern.
Eine konsequente Armutsbekämpfung müsste bei einer Erhöhung des Revis ansetzen, stattdessen wollen CSV und DP über mehrere zum Teil unübersichtliche Hilfen nur das Schlimmste vermeiden. Hier zeigt sich wiederum die rhetorisch sonst so geschickt verdeckte Ideologie der Regierung: Aus der Armutsfalle muss man sich wieder selbst durch Arbeit befreien. Wer das nicht schafft, hat Pech gehabt. Dass auch in Luxemburg Arbeit nicht vor Armut schützt (einer von sieben Arbeitnehmern ist dem Armutsrisiko ausgesetzt), wird dabei gekonnt ignoriert.
Von der Sozialpolitik zum Sozialdialog
Unter Schwarz-Blau sollen nicht nur die Bürger, sondern auch die Betriebe entlastet werden. Als Gegenleistung versprechen die Unternehmen: nichts. Die Regierung setzt auch hier auf das Prinzip Hoffnung. Die Entlastung der Unternehmen soll Luxemburgs Wettbewerbsfähigkeit stärken, Arbeitsplätze schaffen und somit wiederum neue Steuereinnahmen ermöglichen.
Die Ideologie der Koalition zeigt sich nicht zuletzt in ihrem Verständnis von Sozialdialog. In einer Sitzung des „Comité permanent du travail et de l’emploi“ sollte im Oktober über die Mindestlohnrichtlinie zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und dem Staat beraten werden. Das EU-Gesetz schreibt vor, dass 80 Prozent aller Arbeitnehmer einem Kollektivvertrag unterliegen sollten. Bisher sind es allerdings nur rund 55 Prozent. Das Ziel der Reform lautet, bessere und faire Löhne zu garantieren und die Arbeitnehmer besser zu schützen, während den Gegebenheiten des Sektors Rechnung getragen wird.
Arbeitsminister Georges Mischo (CSV) wollte dies erreichen, indem auch Personaldelegierte ohne Gewerkschaftskarte solche Verträge aushandeln können. Diese stehen allerdings in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Arbeitgeber. Das Machtverhältnis während der Verhandlungen würde also stark in Richtung Arbeitgeber kippen. Die Gewerkschaften konnten dies nicht mittragen und verließen daraufhin die Sitzung des Komitees.
Die Regierung ist zwar der Ansicht, dass sogenannte „Working poor“ mit staatlichen Hilfen unterstützt werden sollen. Doch gleichzeitig entbindet sie damit die Arbeitgeber von der Verantwortung, nicht zuletzt in jenen Sektoren für gerechtere Löhne zu sorgen, in denen verhältnismäßig niedrige Gehälter gezahlt werden.
In diesem Punkt unterscheidet sich die Politik von Schwarz-Blau deutlich von der Vorgängerregierung. Blau-Rot-Grün stand den Gewerkschaften näher. Allerdings scheute sich die Dreierkoalition, in ihrer zweiten Amtszeit weitreichende Steuersenkungen, besonders für Alleinerziehende, auf den Weg zu bringen. Gemeinsam haben alle Regierungsparteien der letzten Jahre allerdings, dass sie den Kampf gegen die akute Armut bisher nicht mit aller Konsequenz geführt haben.