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Asylpolitik in den Wahlprogrammen: Um Solidarität oder um Sicherheit bemüht?

Die einen Parteien nehmen Asylsuchende und Migrant*innen als Sicherheitsrisiko wahr, die anderen als Chance für den europäischen Arbeitsmarkt. Den meisten fehlt es jedoch an langfristigen Lösungsansätzen, um den systematischen Todesfällen an den EU-Außengrenzen entgegenzuwirken.

Trotz Abwesenheit rechtspopulistischer Parteien kamen einige starke Meinungsunterschiede hervor: Konservative und linkspolitische Parteien auf dem Rundtischgespräch der PiiLux.Die europäische Asylpolitik beruht seit Jahren schon auf einer von Vernachlässigung und Ausgrenzung geprägten Abschreckungstaktik. Die im April dieses Jahres verabschiedete Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems wird daran nichts ändern (woxx 1787). De facto Inhaftierungen von Erwachsenen und Kindern, die Verlagerung der Asylverfahren an die EU-Außengrenzen, direkte Abschiebungen, verringerte Schutzstandards für Geflüchtete ‒ die insgesamt zehn Gesetzestexte, die den EU-Pakt ausmachen „tun nichts, um den Zugang zu den bestehenden Fluchtrouten zu verbessern oder sichere Wege nach Europa zu schaffen“, schreibt die NGO Médecins sans frontières in einem im Februar veröffentlichten Bericht und warnt zum wiederholten Mal: „Zusammen mit der fortgesetzten Externalisierung und den gewalttätigen Praktiken an den Grenzen wird der Pakt nur noch mehr Menschen dazu bringen, auf der Suche nach Zuflucht riskante und umständliche Reisen zu unternehmen.“

Mit der Ausnahme der Grünen stimmten alle luxemburgischen Parteien mit Sitz im europäischen Parlament – also DP, LSAP und CSV – für den umstrittenen EU-Migrationspakt. Grundsätzlich unterscheiden sich die Forderungen der Parteien für die Europawahlen dahingehend, ob sie der Logik der aktuellen Asylpolitik treu bleiben, oder aber mit größeren Änderungsvorschlägen das aktuelle System kritisieren. Bei der Mehrheit nehmen Asyl- und Migrationspolitik keine besondere Stelle ein, die Partei „Oppositiounsbewegung Mir d’Vollek“ erwähnt die Thematik überhaupt nicht.

Um „Sicherheit“ bemüht

Wenig überraschend stellen Asylsuchende für rechte und rechtspopulistische Parteien vor allem eines dar: ein Sicherheitsproblem. Trotz ihrer Bemühungen, sich als „konservative“ Partei zu verkaufen, lässt das Wahlprogramm der ADR wenig Zweifel an ihrer AFD-nahen Haltung. Migration sei kein Menschenrecht, heißt es darin etwa. Das Programm wird einige Zeilen später noch konkreter: „Leute, die mithilfe von Schleusern übers Mittelmeer kommen, sollen nicht in der EU bleiben dürfen.“ Den EU-Asylpakt bewertet die fremdenfeindliche Partei als „vernünftigen Schritt“ und, wie vor fünf Jahren schon, beharrt sie weiterhin auf den Kompetenzen der nationalen Regierungen. Dementsprechend seien Verteilungsquoten ein Affront gegen die nationale Souveränität. Dennoch gibt sich die Partei mit anderen EU-Mitgliedsstaaten solidarisch, und zwar beim Bau von Infrastrukturen an den Außengrenzen. In Luxemburg selbst verspricht sie „nötige Anpassungen“, was die finanzielle und soziale Hilfe für Migrant*innen angeht. Welche das sind, erfahren die Leser*innen nicht.

Gleichermaßen unkonkret und auf Repression ausgerichtet liest sich auch das teils widersprüchliche Wahlprogramm ‒ übrigens ganz in die Farben der luxemburgischen Flagge getaucht ‒ von Déi Konservativ-d’Fräiheetspartei. Die Partei verspricht eine Verstärkung der EU-Grenzschutzbehörde Frontex, die mehrmals erfolglos wegen Mitverantwortung von dokumentierten illegalen Abschiebungen verklagt wurde, bevor sie sich knapp eine Seite später zur „Wahrung der Menschenrechte“ verpflichtet. Nachdem das EU-Betrugsbekämpfungsamt Beweise für seine Beteiligung an illegalen Abschiebungen veröffentlichte, musste der umstrittene Frontex-Direktor Fabrice Leggeri 2022 seinen Posten räumen, und kandidiert nun bei den Europawahlen ‒ und zwar auf der Liste der rechtsextremen französischen Partei Rassemblement national. Mit einem geplanten Budget von über 5,5 Milliarden Euro im laufenden Haushalt bis 2027 gilt Frontex zu den bestbezahlten Agenturen der EU. Zudem unterscheidet Déi Konservativ zwischen „illegalen“ und „ehrlichen“ Migrant*innen ‒ worauf diese Unterscheidung beruht, erläutert sie nicht.

Auch die CSV und Fokus sehen Menschen, die vor Krieg und Elend flüchten, als ein Risiko, vor dem es sich zu schützen gilt. Gleich am Anfang erläutert Fokus, es dürfe nicht jeder in die Union, der in die Union wolle. Und die CSV schreibt ominös: „Europa muss seine Bürger schützen.“ Wovor genau, wird nicht präzisiert. Laut Fokus sollen von der afrikanischen Küste ausgehende Bootsfahrten verhindert werden. Schlepper*innen und Menschenhändler*innen sollen durch die Förderung legaler Einwanderungsmöglichkeiten bekämpft werden. Dies verspricht auch die CSV, in deren Programm Asylpolitik Platz 10 der 12 Prioritäten einnimmt. Beide Parteien haben für den EU-Asylpakt gestimmt, wobei die Begründung der CSV widersprüchlich ist: Für den Pakt habe die christliche-soziale Partei nur gestimmt, weil man die Reform aus Angst vor einem Rechtsruck nicht dem nächsten europäischen Parlament überlassen wollte, erklärte die Parlamentsabgeordnete Isabel Wiseler-Lima vor zwei Wochen auf einem Rundtischgespräch der „Plateforme immigration et intégration Luxembourg“ (PiiLux). Die CSV verspricht jedoch gleichzeitig, gegen die „Festung Europa“ vorzugehen und den wirtschaftlichen Wert von Migrant*innen zu erkennen. Frontex wolle man aber auch stärken.

Nutzen für den Arbeitsmarkt

Als eine „Chance“ für den europäischen Arbeitsmarkt sehen die DP und die LSAP Asylsuchende. Erstere will die „Last“ gerecht zwischen Mitgliedsländern verteilen. Konkretere Vorschläge zu einer Umverteilung oder anderen Maßnahmen finden sich im Programm der Demokrat*innen allerdings nicht. Den Pakt begrüßt die Partei dafür als „unvollkommene, aber ziemlich ausgewogene Einigung“. Nach den Konsequenzen der Reform für die Aufnahme von Asylsuchenden befragt, verwies die DP-Kandidatin Jana Degrott während besagten Rundtischgesprächs von PiiLux auf die Nachbarländer Luxemburgs. Im Vergleich zu den hiesigen Aufnahmekapazitäten seien Belgien oder Frankreich etwa überfordert. Luxemburg, so die implizite Behauptung, sei dagegen ein Vorbild. Dabei betreibt Luxemburg wie auch andere EU-Staaten eine zunehmend feindselige Aufnahmepolitik, etwa durch die eingeschränkte Aufnahme alleinstehender Männer (woxx 1771).

Auch LSAP-Kandidat Franz Fayot erläuterte auf dem Rundtischgespräch die Abstimmung der Sozialist*innen für den Pakt. Die EU-Reform ‒ die in ihrem Programm nicht erwähnt wird ‒ sei zwar nicht das, „was die Sozialisten wollen“, die LSAP habe aber trotzdem für den Pakt gestimmt, weil er „besser als der vorherige“ sei, so Fayot. Nichtsdestotrotz befürwortet die LSAP in ihrem Programm weitgehend Maßnahmen zum Schutz von Asylsuchenden und Migrant*innen: Institutionelle Mechanismen zur Bekämpfung von Menschenrechtsverstößen an den Grenzen wie Inhaftierungen oder körperliche Misshandlungen sollen verstärkt, Asylsuchende innerhalb der EU besser verteilt, Mauern und Zäune an den Außengrenzen nicht länger durch EU-Gelder mitfinanziert, eine europäische Mission zur Seenotrettungen im Mittelmeer gefördert, und Menschenhandel, sexualisierte Gewalt und Ausbeutung bekämpft werden.

„Grundsätzlich unterscheiden sich die Forderungen der Parteien für die Europawahlen dahingehend, ob sie der Logik der aktuellen Asylpolitik treu bleiben, oder aber mit größeren Änderungsvorschlägen das aktuelle System kritisieren.“

Eine weitere Partei, deren Programm wie das der CSV, DP oder Fokus wenig Konkretes zu Asylpolitik enthält, ist die neue Allianz „Zesummen an d’Bréck“. Auf dem Rundtischgespräch der PiiLux bezog der Kandidat Alexandre Chateau-Ducos Stellung gegen die aktuelle Asylpolitik der EU und versprach unter anderem das Recht auf Familienzusammenführung auszubauen. Im Wahlprogramm der Partei wird jedoch ein Fokus auf die internationale Entwicklungshilfe gelegt. Die Vorschläge sind dabei zumindest originell: Neben einer Verstärkung internationaler Partnerschaften will die Partei eine „zone tampon“ im Sahel schaffen, aus der eine „afrikanische Silicon Valley“ enstehen soll.

EU-weit durchgesetztes Recht auf Asyl

Auch die KPL visiert in ihren Vorschlägen hauptsächlich die Situationen in den Herkunftsländern. Im Gegensatz zu rechten und konservativen Parteien, äußert sich die KPL gewohnt kritisch gegenüber der EU, und verspricht, Fluchtursachen zu bekämpfen. Die Asylpolitik der Union sei vor allem auf die Abwehr von Flüchtlingen ausgerichtet, die zum Spielball von Politiker*innen würden, kritisiert die KPL etwa. Mit dem Ziel, der neokolonialen Ausbeutung und militärischen Konflikten die Stirn zu bieten, verspricht die Partei unter anderem eine Erhöhung des Entwicklungsbudgets, eine Senkung der Militärausgaben, und die Abschaffung der „Festung Europa“. Zudem sollen Fremdenfeindlichkeit und Faschismus stärker bekämpft werden.

Die anderen linken Parteien legen den Fokus auf Asylsuchende selbst und befürworten spezifische Maßnahmen, um den Asylpakt zu ändern. Am ausführlichsten ist dabei die paneuropäische Partei Volt, in deren Programm die Bereiche Asyl und Arbeitsmigration separat behandelt und über ein Dutzend Maßnahmen vorgeschlagen werden. Interessant sind dabei die teils sehr spezifischen Vorschläge: Beispielsweise sollen Asylberwerber*innen die Möglichkeit erhalten, sich in Unterkünften von ihrer Flucht zu erholen. Ihnen soll zudem ausreichend Zeit gewährt werden, um sich auf die Asylanfrage vorzubereiten und Rechtsbeistand zu ersuchen. Zusammen mit den Parteien Déi Lénk und Déi Gréng befürwortet Volt systemische, wenn auch teils unterschiedliche Änderungen. Während Volt Frontex etwa reformieren will, versprechen Déi Lénk, die Agentur in Zusammenarbeit mit der UNO durch eine „Agence humanitaire aux frontières“ zu ersetzen.

Abkommen mit autokratischen Regimen lehnt Volt zudem konsequent ab, déi Gréng wollen spezifisch das EU-Abkommen mit der Türkei abschaffen. Alle drei Parteien versprechen, europäische und zivile Seenotrettungsdienste zu fördern und sichere und geregelte Fluchtrouten auszubauen, etwa mithilfe von humanitären Visa. Minderjährigen Asylbewerber*innen müssten bei ihrer Ankunft laut Volt von speziell geschulten Sozialarbeiter*innen betreut werden. Was die Verteilung von Asylsuchenden angeht, sind sich die drei Parteien auch einig: Sie sollen gerecht in alle Regionen der Union aufgeteilt werden. Volt will zur Entscheidung der Umverteilung sowohl das Bruttoinlandprodukt und die Bevölkerungsdichte der EU-Mitgliedstaaten als auch die familiären Bindungen, Sprachkenntnisse und Berufsqualifikationen der Asylsuchenden berücksichtigen. Die Grünen, die in ihren Vorschlägen den UN-Migrationspakt als Basis nehmen, legen den Fokus auch auf eine gerechtere Umverteilung hierzulande und befürworten dafür die Schaffung eines kommunalen Integrationsfonds.

Was Arbeitsmigrant*innen angeht, wollen Déi Lénk den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Arbeiter*innen ohne Aufenthaltserlaubnis sollten zudem sechs Monaten nach ihrer Ankunft regularisiert werden. Auch Déi Gréng nehmen die prekären Arbeitsverhältnisse von Migrant*innen ins Visier und wollen etwa anonyme Beschwerdestellen einrichten. Volt schlägt vor, Arbeitsmigrant*innen, die drei Jahre lang in der EU verbracht und einen wirtschaftlichen Beitrag geleistet haben, kostenlos und einfach einzubürgern.

Im Gegensatz zu den rechten Parteien sehen Déi Lénk, Déi Gréng und Volt Menschen auf der Flucht nicht als homogene Gruppe. Sie fordern, das Asylrecht auch für Personen, die aus ökonomischen Gründen, vor geschlechtsspezifischer Gewalt oder klimabedingten Katastrophen flüchten, gelten zu lassen. Déi Gréng schlagen dafür die Einführung eines Klimapasses vor, déi Lénk und Volt versprechen humanitäre Visen. Die Piratepartei geht in eine ähnliche Richtung und verspricht in ihrem ansonsten merklich unspezifischen Wahlprogramm, die Verfolgung von LGBTIQA+ Personen als Asylmotiv anzuerkennen.

Große Überraschungen bleiben in den Programmen der Parteien aus. Neben der üblichen Angstmacherei und vorsichtigen Vorschlägen, werden hauptsächlich ideologisch geleitete Schwerpunkte gesetzt. Der konkrete und fundamentale Kurswechsel weg von der Entmenschlichung und Kriminalisierung von Flüchtlingen und Migrant*innen, wie ihn Menschenrechtsorganisationen seit Jahren fordern, findet sich nur in einer Minderheit der Vorschläge wider.