Votre panier

„Eines Tages werde ich Chirurg sein“

Vor fünf Jahren kamen Tausende Geflüchtete ins Land. Wo stehen sie heute? Der Afghane Khadem hat Französisch und Luxemburgisch gelernt. Er hat einen festen Job gefunden. Um seinen wirklichen Traum zu erfüllen, muss er Luxemburg aber vielleicht wieder verlassen. 

Sobald Khadem Hussain Karimyar ein Krankenhaus betritt, ist er glücklich. Schon als kleiner Junge wusste er, dass er einmal Chirurg werden möchte. „Herr Doktor“, nennen sie ihn, sein Vater, seine Mutter und seine zwei jüngeren Schwestern. Aus ihren Stimmen sprechen Bewunderung und Stolz, aber auch großer Schmerz. Lange ist es her, dass der junge Afghane ihre Worte nicht durch eine Telefonleitung hören musste. Ebenso lange ist es her, dass sein Medizinstudium kein ferner Traum, sondern Wirklichkeit war.

Noch im Juni 2015 studierte Khadem Hussain Karimyar Medizin im zweiten Jahr an der Universität in Masar-e Scharif in Afghanistan. Er war Klassenbester, hatte viele Freunde. Doch dann musste er gehen. Wie für viele andere, vor allem junge Männer in Afghanistan, war das seit Jahren vom Bürgerkrieg gebeutelte Land auch für ihn nicht mehr sicher. Mit dem kontinuierlichen Rückzug ausländischer Truppen, nahmen auch bewaffnete Aufstände, Anschläge und Vertreibungen wieder zu.

Khadem floh zunächst in den Iran, mit Hilfe von Schleppern dann über die Türkei weiter nach Griechenland. Im Zickzackkurs ging es durch Südosteuropa, nach einem kurzen Zwischenstopp in Deutschland landete er letztlich in Luxemburg. „Ein kleines, offenes Land mit einer neuen Uni“: das klang für Khadem vielversprechend. Mit der Kleidung, die er am Körper trug, und etwas Geld in der Hosentasche stand er im Oktober 2015 auf dem Vorplatz des hauptstädtischen Bahnhofes und suchte die Polizei.

Eine Ankunft mit Hindernissen

2.447 Anträge auf Asyl wurden 2015 in Luxemburg gestellt, so viele in einem einzigen Jahr wie seit 1999 nicht mehr. Damals flüchteten knapp 3.000 Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Luxemburg. 2015 kamen die Menschen nun vornehmlich aus Syrien und dem Irak, auch aus dem Kosovo und aus Afghanistan. Ein Feldbett in dem von der Regierung eilig aufgebauten Erstaufnahmezentrum in der „Halle 6“ der LuxExpo war auch Khadems erste Schlafstätte – im Herbst 2015, in einem winzigen Land im Herzen von Europa, fast 7.000 Kilometer weg von Zuhause.

Auch mit Anfang 20 sind die meisten ja noch kleine Jungs. Sie sehnen sich nach Ruhe, Geborgenheit, einem Familienersatz.“Marianne Donven

Khadem war 22 Jahre alt, als er einen Asylantrag bei der Immigrationsbehörde stellte. Nach kurzem Hin und Her zog er in das heute nicht mehr existierende Flüchtlingsheim in Rippig in der Nähe von Junglinster. Mit knapp zwei Dutzend weiteren männlichen Afghanen, auf drei Zimmer verteilt. Alle Anfang 20, alle alleinstehend. Einer hört Musik, einer raucht, ein anderer telefoniert, zwei diskutieren, Khadem versucht, zu lernen. Ein abgebrochener Lebenslauf, ein Neuanfang in einem fremden Land: Das sind für ihn keine Gründe, seinen Plan, Medizin zu studieren, aufzugeben. Er las, was er finden konnte, lernte Sprachen. So schnell wie möglich wollte er die Anforderungen für ein Medizinstudium in Luxemburg erfüllen.

Doch die Situation im Flüchtlingsheim wurde immer unerträglicher. „Es war zu eng, es gab viel Streit, ich wollte da raus. Und überhaupt, wie soll ich mich in Luxemburg einleben, wenn ich nur mit Afghanen zusammen bin? Wie soll ich Luxemburgisch und Französisch lernen, wenn es keiner mit mir spricht?“ Er war unglücklich und wunderte sich über die Entscheidungen der Luxemburger Behörden.

Neue Familie und neue Chancen

Von einem „unglücklichen Einzelfall“ spricht eine Mitarbeiterin des Nationalen Aufnahmeamtes (ONA). Bei der Verteilung auf die Flüchtlingsheime sei man stets sehr darauf bedacht, für eine kulturelle Durchmischung zu sorgen. Statt nach Herkunftsländern, werde eher nach Familienzusammensetzungen, dem Grad an Selbstständigkeit oder auch der Abhängigkeit von medizinischer Hilfe ausgewählt. Natürlich immer im Hinblick auf die Verfügbarkeit der Plätze in den unterschiedlichen Strukturen. Für die Zusammensetzung in Rippig hat die Mitarbeiterin keine Erklärung.

Von der Flucht über die Anpassung zur Integration: Der 27-jährige Khadem hat sich nach seiner Ankunft in Luxemburg vor fünf Jahren durchgekämpft – und hat seinen Lebenstraum stets vor Augen. (Foto: Eric Engel)

Doch Khadem hatte Glück. Als einer von rund 150 Geflüchteten konnte auch er dank der 2016 gegründeten Bürgerinitiative „Oppent Haus – Open Home“ in einem Privathaushalt untergebracht werden. Nach wenigen Monaten im Asylantenheim zog er zu einer Familie nach Junglinster. „Auch mit Anfang 20 sind die meisten ja noch kleine Jungs“, sagt Marianne Donven, eine der Begründerinnen der Initiative. „Sie sehnen sich nach Ruhe, Geborgenheit, einem Familienersatz“.

Khadem bekam sein eigenes Zimmer, aß, wenn ihm danach war, mit Tania, Thierry und ihren zwei Kindern zu Abend, lernte Luxemburgisch und Französisch. Mit ihnen feierte er den Tag, an dem sein Antrag bewilligt wurde. Und sie waren es auch, die ihm dabei halfen, die Türen zum Luxemburger Bildungssystem aufzustoßen.

Interkulturelle Herausforderungen

Thierry erinnert sich noch gut an das mulmige Gefühl, das er vor dem ersten Treffen mit Khadem hatte. „Man hört ja so einiges in den Medien“, sagt er. Von interkulturellen Herausforderungen, unterschiedlichen Gewohnheiten, gegenseitigem Unverständnis. Trotz guten Willens auf beiden Seiten. Hinzu kam, dass die Luxemburger Behörden ihnen das Leben schwer machten. „Wir hatten einen Zirkus mit dem OLAI“, erzählt seine Frau Tania. „Sie wollten uns tatsächlich davon abhalten, die Geflüchteten im Heim zu besuchen. Dies sei den Organisationen vorbehalten.“

Davon ließen Thierry und Tania sich aber nicht abschrecken. Khadem war ihnen sofort sympathisch, seine gute Kinderstube war ihm anzumerken. Er beeindruckte sie durch sein fließendes Englisch, seine Höflichkeit und seinen Ehrgeiz. Als Thierry ihm dann nach mehrwöchigen gemeinsamen Aktivitäten anbot, zu ihnen zu ziehen, war es Khadem, der zögerte. „Warum helfen sie mir? Warum soll ich das Angebot annehmen“, habe er sich gefragt. Heute ist er nicht nur dankbar für die eineinhalb Jahre gemeinsam, sondern benutzt das Wort Familie, wenn er von Thierry und seiner Frau Tania spricht.

Tania beginnt ihre Sätze gerne mit den Worten: „Ich bin ja nicht seine Mutter“. Ihr ist anzumerken, wie wichtig es ihr ist, nicht übergriffig zu wirken. Zu helfen, ohne sich aufzudrängen, Entscheidungen zu akzeptieren, obwohl es ihrer Meinung nach die falschen sind, das sei nicht immer einfach, erzählt die Luxemburgerin. „Letztlich muss er seinen eigenen Weg gehen“, sagt sie.

Integrationsklassen als Sprungbrett

Sicherlich hätte sie es gerne gesehen, wenn er seine Ausbildung zum Krankenpfleger am technischen Gymnasium abgeschlossen hätte. Es in einem völlig fremden Land bis dahin geschafft zu haben, war doch schon ein Erfolg. Und er hätte zumindest in dem Bereich arbeiten können, in dem er sich so wohl fühlt. Andererseits: Soll er sich zurückstufen lassen? Mit weniger zufrieden geben, nur weil er aus Afghanistan kommt? „Ich habe ihn immer dafür bewundert, dass er an seinem Traum, Medizin zu studieren, festhält“, sagt Thierry, „auch wenn sein Traum schwer zu verwirklichen ist“.

Kinder spielen Fußball auf einer Straße am Stadtrand von Masar-e Scharif, im Norden Afghanistans: Von hier aus machte sich Khadem Hussain Karimyar im Sommer 2015 auf nach Europa, mit der Hoffnung auf ein neues – und vor allem sichereres – Leben. (Foto: Andrew Quilty/ILO)

„Wir versuchen, differenziert auf jeden Schüler und jede Schülerin einzugehen und je nach individuellem Projekt einen Plan zu finden“, erklärt Jos Bertemes, Direktor der „Ecole Nationale pour Adultes“, die auch Khadem eineinhalb Jahre besuchte. Die Schule, die bis August 2018 noch den Namen „Ecole de la deuxième chance“ trug, ermöglicht es vor allem Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Diplome zu erwerben, die ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt, zu einer Berufsausbildung oder zu Universitätsstudien vereinfachen sollen. Besonders die Integrationsklassen richten sich an junge Einwanderer, da ihr Fokus auf dem Erwerb der französischen und der luxemburgischen Sprache liegt.

Khadem wurde anschließend am „Lycée Technique pour Professions de Santé“ aufgenommen. Er machte mehrere Praktika, in den Krankenhäusern in Kirchberg und Esch/Alzette sowie bei einem Zahnarzt. Als ihm dann seine allgemeine Hochschulreife aus Afghanistan vom Ministerium anerkannt wurde, brach er die Ausbildung zum Krankenpfleger ab. „Es war nicht das Richtige für mich“, sagt Khadem. „Vielleicht war er dem Druck nicht ganz gewachsen“, sagt Tania.

Teil einer Erfolgsgeschichte

Heute steht Khadem im Eingangsbereich des Restaurants „Chiche!“ in Limpertsberg. Er sieht seriös aus. Schwarzes, perfekt gebügeltes Hemd, gepflegter Haarschnitt, etwas Gel, aber nicht zu viel. Kunstvoll rasierter Bart. Um den Hals eine silberne Kette, ein Andenken an seine Mutter.

„Es tut mir leid, dass er hier im Restaurant steht, anstatt Medizin zu studieren“, sagt Marianne Donven, eine der Teilhaberinnen der „Chiche!“ sarl. Sie kennt Khadem schon lange, seit Anfang 2018 arbeitet er im Restaurant. Was als kleines Pilotprojekt auf wenigen Quadratmetern in Hollerich begann, ist heute nicht nur das Vorzeigeprojekt für Inklusion von Geflüchteten schlechthin, sondern auch ein sich rasant vergrößerndes Business. 43 Angestellte, überwiegend Geflüchtete, verpflegen etwa 2.000 Kunden pro Woche in zwei, bald drei Restaurants in Luxemburg, Esch und ab Januar auch in Leudelingen. Durch die Pandemie wurde der Erfolg zwar gebremst, aber nicht aufgehalten.

Wenn ich nicht Arzt werde, dann bin ich auch nicht mehr Khadem.“Khadem Hussain Karimyar

Khadem steigt mit auf. Vor einem Monat haben die Geschäftsführer ihm die Verantwortung für den gesamten Saal in Limpertsberg übertragen, für den Empfang, den Service und die Kasse. Mit einem freundlich zurückhaltenden Lächeln begrüßt er die Gäste, gibt jedem Einzelnen das Gefühl, besonders willkommen zu sein. Die französischen Höflichkeitsfloskeln beherrscht er aus dem Effeff, kein Wort klingt gekünstelt, so als hätte er nie etwas anderes gemacht.

Doch wenn es nach Khadem geht, wird er irgendwann das schwarze Hemd gegen den weißen Kittel eintauschen. All das hier ist nur vorübergehend. „Wenn ich nicht Arzt werde, dann bin ich auch nicht mehr Khadem.“

Hohe sprachliche Hürden

Bis letztes Semester konnte man an der Universität Luxemburg nur das erste Jahr Medizin studieren. Danach wurden die Studierenden an Universitäten im Ausland vermittelt, um dort ihr Studium abzuschließen und gegebenenfalls eine Spezialisierung zu absolvieren. Seit diesem Herbst gibt es nun das Angebot, einen Bachelor-Abschluss in Medizin an der Uni Luxemburg zu erreichen. Rund 25 Studenten haben vor wenigen Tagen begonnen, die Kurse zu besuchen. Khadem ist nicht dabei.

Khadem Hussain Karimyar hat schnell Karriere im Restaurant „Chiche!“ gemacht. Dennoch kann es sein, dass er dieser bald ein Ende setzt und Luxemburg verlässt, um in einem anderen Land Medizin zu studieren. (Foto: Eric Engel)

Seine Aufnahme zum Medizinstudium an der Universität Luxemburg scheiterte an den hohen Sprachanforderungen. Während er in Englisch und in Französisch mittlerweile das Niveau erreicht hat, fehlen ihm weiterhin grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache. „Warum muss ein guter Arzt Deutsch können?“ fragt er und verweist darauf, dass die Kurse ohnehin überwiegend auf Französisch und Englisch abgehalten würden. „Die Universität will mir keine Chance geben.“

Sowohl ein in Luxemburg anerkanntes Abitur im Bereich der Naturwissenschaften als auch hervorragende Sprachkenntnisse in Deutsch, Französisch und Englisch sind verpflichtend, um für das Medizinstudium in Luxemburg überhaupt in Frage zu kommen. Diese hohen Voraussetzungen führten dazu, „dass sehr wenige Studenten aus anderen europäischen Staaten oder aus Nicht-EU-Staaten in diesem Studiengang angenommen werden“, heißt es hierzu aus dem Hochschulministerium.

Traum noch nicht aufgegeben

Ende des Jahres wird Khadem voraussichtlich die luxemburgische Staatsbürgerschaft erhalten. Für den Test haben seine Sprachkenntnisse locker gereicht. Dann ist er Luxemburger und kann sich theoretisch an Universitäten in ganz Europa einschreiben. Und er kann eine Studienbeihilfe vom Luxemburger Staat beantragen. Für ein Medizinstudium würde er seine mühsam aufgebauten Zelte in Luxemburg abbrechen. In Maastricht, Brüssel oder Straßburg noch einmal von vorne beginnen. Ob er dann, nach einem Studium in einem anderen Land, dauerhaft nach Luxemburg zurückkommen wird, steht in den Sternen.

Khadem war schon lange nicht mehr in Junglinster. Auch der letzte Anruf liegt Monate zurück. Zu den beiden Kindern der Familie hat er trotz gleichen Alters und vieler gemeinsamer Erinnerungen keinen Kontakt mehr. Er legt die Stirn in Falten, ein bisschen schlechtes Gewissen ist ihm durchaus anzumerken. Das brauche er doch nicht zu haben, meint hingegen Thierry. Wege kreuzen sich und gehen dann auch wieder auseinander. So sei das nun einmal im Leben.

An der Grenze

An der Grenze

Vor fünf Jahren entschied Angela Merkel, mehrere Hunderttausend Flüchtlinge ins Land zu lassen. Und heute? Eine Geschichte in 110 Nachrichten

Zeit – dossier 19. August 2020

 

Wir schaf­fen das

Ein Groß­teil der Ge­flüch­te­ten, die 2015 ins Land ka­men, wa­ren Ju­gend­li­che. Ha­ben sie ei­nen Aus­bil­dungs­platz ge­fun­den, ei­nen Job? Ei­ne Zwi­schen­bi­lanz VON ARN­FRID SCHENK   Die Zeit 19.08.2020

Im Herbst 2018 wird Fe­lix Wink­ler klar, dass da et­was nicht so läuft, wie es lau­fen soll­te. Er sieht sich ge­zwun­gen, Alarm zu schla­gen. Wink­ler ist Schul­lei­ter der Ge­werb­li­chen Schu­len in Stutt­gart. Sei­ne Ein­drü­cke so­wie die von Leh­rern und Rek­to­ren­kol­le­gen ver­dich­ten sich zu ei­nem be­sorg­nis­er­re­gen­den Ge­samt­bild: Die Sprach­de­fi­zi­te der Ge­flüch­te­ten, die als Aus­zu­bil­den­de in den Klas­sen der Stutt­gar­ter Be­rufs­schu­len sit­zen, sind so ge­wal­tig, dass ein nor­ma­ler Un­ter­richt kaum mög­lich ist.

Wink­ler will es ge­nau wis­sen und in­iti­iert Deutsch­tests an al­len 21 Be­rufs­schu­len der Stadt. Das Er­geb­nis ist noch ver­hee­ren­der als be­fürch­tet: Von den 1000 neu zu­ge­wan­der­ten Aus­zu­bil­den­den sind auch nach zwei oder drei Jah­ren in Deutsch­land nur 116 in der La­ge, sich an ei­ner Fach­dis­kus­si­on zu be­tei­li­gen, 40 Pro­zent der Lehr­lin­ge er­rei­chen ge­ra­de ein­mal die Sprach­ni­veaus A1 und A2. Ru­di­men­tä­res Deutsch, das nicht an­satz­wei­se den er­for­der­li­chen Kennt­nis­sen ent­spricht. Fach­un­ter­richt ist so nicht mach­bar.

Die Schul­lei­ter wen­den sich an die Stadt, war­nen, dass die Aus­bil­dung von fast der Hälf­te der Azu­bis mit Flucht­hin­ter­grund zu schei­tern dro­he: Sie wür­den die schrift­li­chen Ab­schluss­prü­fun­gen nicht schaf­fen. Die für Bil­dung zu­stän­di­ge Bür­ger­meis­te­rin spricht von ei­ner »Zeit­bom­be«.

Fe­lix Wink­ler, Lei­ter der Schu­le für Far­be und Ge­stal­tung in Stutt­gart-Feu­er­bach, er­zählt das an­dert­halb Jah­re spä­ter an ei­nem Ju­li­tag kurz vor den Som­mer­fe­ri­en. 70 Flücht­lin­ge be­su­chen sei­ne Schu­le, in man­chen Klas­sen stel­len sie fast die Hälf­te der Schü­ler. Wink­ler sagt: »Vie­les wur­de am An­fang zu ro­sig ge­malt.«

Die­ser An­fang war der Som­mer 2015. Vor fünf Jah­ren be­an­trag­ten in Deutsch­land 477.000 Men­schen Asyl, 2016 wa­ren es 746.000. Es wa­ren die größ­ten Zu­zü­ge seit En­de des Zwei­ten Welt­krie­ges. Die meis­ten Men­schen ka­men aus Sy­ri­en, Af­gha­nis­tan, dem Irak, dem Iran und Eri­trea. Ein Groß­teil von ih­nen zwi­schen 18 und 24 Jah­ren alt, rund 280.000 – schon zu alt für ei­ne all­ge­mein­bil­den­de Schu­le; ei­ne Aus­bil­dung war der na­he­lie­gen­de Weg in den Ar­beits­markt.

Die Eu­pho­rie des An­fangs war groß, die Wirt­schaft hoff­te auf Fach­kräf­te von mor­gen. Al­len vor­an der da­ma­li­ge Daim­ler-Chef Die­ter Zet­sche: Es sei ei­ne Her­ku­les­auf­ga­be, die Flücht­lin­ge auf­zu­neh­men, »aber im bes­ten Fall kann es auch ei­ne Grund­la­ge für das nächs­te deut­sche Wirt­schafts­wun­der wer­den«. Die Flücht­lin­ge ka­men in ei­ner Zeit, in der vie­le Lehr­stel­len in Deutsch­land un­be­setzt blie­ben, 37.000 wa­ren es al­lein 2015. Hand­werks- und Han­dels­kam­mern, Un­ter­neh­men, Be­hör­den, das Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um und die Bun­des­agen­tur für Ar­beit grün­de­ten In­itia­ti­ven, um die Ge­flüch­te­ten in ei­ne Aus­bil­dung zu brin­gen.

Und heu­te? Wie sieht es aus, fünf Jah­re nach An­ge­la Mer­kels »Wir schaf­fen das!«? Wie kom­men die jun­gen Ge­flüch­te­ten zu­recht in Aus­bil­dung und Be­rufs­schu­len? Der Schul­lei­ter Fe­lix Wink­ler ist in der Zwi­schen­zeit zu­ver­sicht­li­cher. Die Stadt Stutt­gart hat rasch re­agiert, ei­nen Aus­bil­dungs­gip­fel or­ga­ni­siert, Mo­dell­pro­jek­te ge­star­tet und drei Aus­bil­dungs­ma­na­ger ein­ge­stellt. Sie sol­len die Ge­flüch­te­ten zum Be­rufs­ab­schluss be­glei­ten, ei­ne Ver­bin­dung zwi­schen Schu­le und Be­trieb schaf­fen. Ih­re wich­tigs­te Auf­ga­be: pas­sen­de Sprach­kur­se mit be­rufs­be­zo­ge­nen In­hal­ten fin­den. Und – nicht ein­fach – die Be­trie­be da­von über­zeu­gen, dass sie ih­re Azu­bis für zu­sätz­li­che Deutsch­kur­se frei­stel­len.

Das Pro­gramm zei­ge Wir­kung, be­rich­tet Wink­ler, das Sprach­ni­veau ver­bes­se­re sich, noch lang­sam, aber spür­bar. Die Mo­ti­va­ti­on der Schü­ler sei sehr hoch. Auch wenn die Ge­fahr des Schei­terns wei­ter­hin groß sei, hofft er, dass man in zwei Jah­ren über den Berg sei.

Es gibt in Ba­den-Würt­tem­berg wie in vie­len Bun­des­län­dern Vor­be­rei­tungs­klas­sen für Be­rufs­schu­len. Die Vor­stel­lung, dass die Flücht­lin­ge dort in ei­nem Jahr die nö­ti­gen Deutsch­kennt­nis­se er­lan­gen, sei völ­lig ir­re­al ge­we­sen, sagt Wink­ler. Aber vie­le Fir­men hat­ten Pro­ble­me, Lehr­lin­ge zu fin­den, al­so stell­te man das Sprach­pro­blem hint­an. Jetzt rächt es sich. Spricht man mit Mi­gra­ti­ons­ex­per­ten und Prak­ti­kern, zeigt sich, dass das in vie­len an­de­ren Re­gio­nen ähn­lich lief. Deutsch­land war zu un­ge­dul­dig.

Mitt­ler­wei­le stimmt die Rich­tung im Gro­ßen und Gan­zen. Ein Blick in die Sta­tis­tik der Bun­des­agen­tur für Ar­beit zeigt: Der­zeit ma­chen 55.000 Ge­flüch­te­te aus den acht häu­figs­ten Her­kunfts­län­dern ei­ne Aus­bil­dung. Die Zahl scheint klein, aber In­te­gra­ti­on ist ein Ma­ra­thon, kein Sprint, das zeigt die Stei­ge­rung ge­gen­über den Vor­jah­ren, 2015 wa­ren es 6600, 2017 im­mer­hin schon 27.000. Die Zahl der Ab­bre­cher ist leicht hö­her als un­ter ein­hei­mi­schen Azu­bis. In den ers­ten Jah­ren hat­ten vie­le Ge­flüch­te­te auf ei­ne Leh­re ver­zich­tet und Hel­fer­jobs be­vor­zugt, um mög­lichst schnell et­was Geld zu ver­die­nen und ih­re Fa­mi­lie in der al­ten Hei­mat zu un­ter­stüt­zen. All­mäh­lich wächst der An­teil de­rer, die ver­ste­hen, dass sich ei­ne Aus­bil­dung lohnt.

Der Deut­sche In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer­tag (DIHK) hat 2016 das bun­des­wei­te Netz­werk »Un­ter­neh­men in­te­grie­ren Flücht­lin­ge« ge­grün­det. Es ist der größ­te Zu­sam­men­schluss von Fir­men, um Ge­flüch­te­te in Aus­bil­dung und Ar­beit zu brin­gen. Sa­rah Stro­bel, Re­fe­ren­tin für das Pro­jekt, fasst die ver­gan­ge­nen Jah­re so zu­sam­men: »Es hat sich gut ent­wi­ckelt.« Knapp 2500 Un­ter­neh­men ma­chen mit, vor al­lem klei­ne und mit­tel­stän­di­sche Fir­men. Ins­ge­samt be­schäf­ti­gen sie 9300 Ge­flüch­te­te. Um­fra­gen in den Be­trie­ben zei­gen deut­lich: Was das Prak­ti­sche an­be­langt, ma­chen die Azu­bis ei­nen gu­ten Job. Sie zei­gen aber auch, dass die man­geln­den Sprach­kennt­nis­se auch nach Jah­ren noch ein Han­di­cap sind.

Dass vie­le Ge­flüch­te­te in den Be­rufs­schu­len kaum mit­hal­ten kön­nen, gilt mitt­ler­wei­le als die größ­te Hür­de auf ih­rem Weg in den Ar­beits­markt. Vor al­lem die Klau­su­ren am En­de der Aus­bil­dung be­rei­ten Sor­ge. Die Han­dels­kam­mern ha­ben re­agiert und bie­ten da­für Vor­be­rei­tungs­kur­se an. Doch die Ex­amens­fra­gen sei­en oft sper­rig, hört man von Prü­fern, selbst Mut­ter­sprach­ler müss­ten man­che drei­mal le­sen, um zu ver­ste­hen, was ge­nau ge­fragt sei. Oft liegt die Schwie­rig­keit auch in der Mehr­deu­tig­keit: Dass zum Bei­spiel die Fra­ge »Bei wel­chen Ar­ti­keln han­delt es sich um so­ge­nann­te Pen­ner­ar­ti­kel?« auf Wa­ren zielt, die sich schlecht ver­kau­fen, er­schließt sich nicht un­be­dingt.

Ei­ne Stu­die aus dem Jahr 2017 er­gab, dass 76 Pro­zent der Azu­bis mit Flucht­hin­ter­grund die Prü­fung be­stan­den, un­ter den Ein­hei­mi­schen wa­ren es 92 Pro­zent. Ak­tu­el­le­re Zah­len gibt es nur bei den re­gio­na­len Kam­mern.

Ei­ne Stich­pro­be in Nürn­berg. Ste­fan Kast­ner, Lei­ter des Be­reichs Be­rufs­bil­dung der In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer, sitzt in sei­nem Bü­ro und schaut in sei­ne Un­ter­la­gen. 9000 Aus­bil­dungs­be­trie­be gibt es in Mit­tel­fran­ken, rund ein Drit­tel be­schäf­tigt Ge­flüch­te­te. Im ver­gan­ge­nen Jahr ha­ben 75 Pro­zent der Azu­bis aus den acht häu­figs­ten Her­kunfts­län­dern be­stan­den, ge­gen­über 92 Pro­zent bei ein­hei­mi­schen Prü­fungs­teil­neh­mern. Auch Kast­ner macht die Er­fah­rung: Die Flücht­lin­ge ha­ben Pro­ble­me in der Schu­le, nicht in den Be­trie­ben. Schaf­fen wir das? – Ja, sagt Kast­ner. Man brau­che Ge­duld, aber es lau­fe.

Aus­dau­er braucht auch der Neu-Nürn­ber­ger Mahmud. Er hat­te es trotz mi­se­ra­bler Start­chan­cen schon fast ge­schafft, im letz­ten Mo­ment stol­per­te er trotz­dem. Er ist 20 Jah­re alt, in Alep­po be­such­te er die Grund­schu­le, wie üb­lich sechs Jah­re lang. Dann kam der Krieg in die Stadt, sei­ne El­tern schick­ten ihn mit ei­nem On­kel auf die Flucht nach Eu­ro­pa, da war er 13. Als er in Nürn­berg an­kam, war er 15. Nach neun Mo­na­ten be­gann er mit sei­nem ers­ten Deutsch­kurs. Dort fiel er auf als ei­ner, der schnell lernt, und be­kam ei­ne Aus­bil­dung in ei­nem Re­stau­rant ver­mit­telt. In der Be­rufs­schu­le war er fast drei Jah­re lang der ein­zi­ge Flücht­ling in sei­ner Klas­se, es lief gut auf sei­nem Weg zum Re­stau­rant-Fach­mann.

Mahmud er­zählt das flüs­sig, man kann sich pro­blem­los mit ihm un­ter­hal­ten. Im Ju­ni kam dann die Ab­schluss­prü­fung, we­gen Co­ro­na fand in den Mo­na­ten da­vor kei­ne Schu­le statt. Mahmud hat­te viel ge­lernt, ge­reicht hat es nicht. Zwar durf­te er ein Le­xi­kon be­nut­zen, aber das kos­te­te Zeit, und man­che Fra­ge hat er doch nicht recht ver­stan­den. In zwei Mo­na­ten be­kommt er ei­ne neue Chan­ce, zwei­mal darf die Prü­fung wie­der­holt wer­den. Mahmud ist gu­ter Din­ge: »Wenn man will, kann man al­les schaf­fen.«

Her­bert Brü­cker vom In­sti­tut für Ar­beits­markt- und Be­rufs­for­schung (IAB) ge­hör­te nicht zu de­nen, die in den Flücht­lin­gen schon die Fach­kräf­te für mor­gen sa­hen. Er lei­tet den For­schungs­be­reich Mi­gra­ti­on, In­te­gra­ti­on und in­ter­na­tio­na­le Ar­beits­markt­for­schung am IAB. Be­reits 2015 lau­te­te sei­ne Ein­schät­zung, dass es we­nigs­tens fünf Jah­re dau­ern wer­de, bis die Hälf­te al­ler Ge­flüch­te­ten ei­ne Ar­beit ge­fun­den ha­be. Die­sen Fe­bru­ar er­gab ei­ne Lang­zeit-Be­fra­gung des IAB, dass Brü­cker rich­tig lag: Fünf Jah­re nach der An­kunft hat­te et­wa die Hälf­te der Ge­flüch­te­ten ei­nen Job, 52 Pro­zent da­von als Fach­kräf­te, 44 Pro­zent als Hel­fer.

Dann kam das Co­ro­na­vi­rus. Die Ge­flüch­te­ten lei­den be­son­ders un­ter den Aus­wir­kun­gen der Pan­de­mie, vie­le von ih­nen ar­bei­ten in stark ge­schä­dig­ten Wirt­schafts­zwei­gen wie Ho­tels und Gast­stät­ten. Et­li­che ha­ben ih­re Jobs ver­lo­ren, an­de­re ban­gen um ih­re Aus­bil­dung. Ein Rück­schlag. Dass sich da­durch der po­si­ti­ve Trend lang­fris­tig um­kehrt, glaubt Brü­cker aber nicht. Das Fa­zit des Mi­gra­ti­ons­ex­per­ten: Man hat viel ge­schafft, aber es gibt auch noch viel zu tun. Wich­tigs­te Auf­ga­be: be­rufs­be­zo­ge­ne Sprach­kur­se. Bis die meis­ten Flücht­lin­ge mit der neu­en Spra­che pro­blem­los ar­bei­ten kön­nen, wird es noch dau­ern.

Ré-humanisez – moi ! Passerell

La dignité humaine est inviolable. Elle doit être respectée et protégée. »

Charte des droits fondamentaux de l’Union européenne, article 1er

Préfacé par le sociologue et ancien assesseur à la Cour nationale du droit d’asile (France) Smaïn Laacher, cet ouvrage pensé comme un carnet de notes, réunit les récits de neuf personnes exilées venues demander l’asile au Grand-Duché de Luxembourg. Les prénoms ont été modifiés, mais les histoires sont authentiques, choisies parmi plus de 700 récits écoutés et recueillis dans le bureau de l’association Passerell ces trois dernières années.

« Humaniser le droit d’asile » telle est la raison d’être de l’association Passerell et l’ambition de cet ouvrage. Il s’agit de montrer que dans la procédure d’asile, où se poursuivent des drames humains dont il est parfois difficile de se distancer, naissent des questions de droit nombreuses et pointues. « Humaniser le droit d’asile », c’est mobiliser le droit pour résoudre des problématiques profondément humaines.

Dossier de presse

Le Quotidien 2 mars 2020

„Being Black in Luxembourg“: Konferenz offenbart Rassismus im Land

Lien vers la version audio-video de la conference

 

Luxemburg hat ein Rassismus-Problem. Das geht aus einer Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte hervor, die bereits im November 2018 veröffentlicht wurde. Zwölf Monate später ist die Situation aber immer noch alarmierend, wie die Konferenz „Being Black in Luxembourg“ gestern belegte.

Von Eric Hamus, tageblatt 14. November 2019

Reportage op RTL – radio 13. November 2019

Reportage op RTL-telé den 13.November 2019

Woxx 14.11.2019 : Rassismus in Luxemburg: „Es hat sich nichts verbessert“

Question orale du député Charles Margue (Gréng)

L’étude de la FRA 

„Seit wann lassen wir Schwarze in den Classique?“ – Ein Satz, den die junge Frau kapverdischer Herkunft wohl ein Leben lang begleiten wird. Gefallen ist er während ihrer Orientierungsprozedur nach Abschluss der sechsten Grundschulklasse in Luxemburg. Ihr eigener Lehrer hatte vorgeschlagen, die Schülerin ins klassische Lyzeum zu orientieren. Ein weiteres Mitglied des Orientierungsrats aber wollte das Kind in den Anpassungsunterricht schicken – mit der eingangs genannten Begründung.

„Nicht ins klassische Lyzeum, nicht mal ins technische Lyzeum, sondern in den Anpassungsunterricht“, wird sich die Betroffene später im Gespräch mit einer Sozialarbeiterin echauffieren. Die frühere Schülerin ist eine von 22 Jugendlichen kapverdischer Abstammung, mit denen Mirlene Fonseca Monteiro im Rahmen ihrer Magisterarbeit gesprochen hat. Ziel war es, den Erfahrungen auf den Grund zu gehen, die die jungen Menschen beim Aufwachsen in der Luxemburger Gesellschaft machen konnten.

Das Ergebnis ist verstörend: Von klein auf erfahren die Kinder dunkler Hautfarbe, dass sie anders sind. „Ein Anderssein, das von der Gesellschaft negativ aufgefasst wird“, erklärte Monteiro gestern vor einem prall gefüllten Auditorium im hauptstädtischen Cercle Cité. „Ab der Einschulung werden sie mit dem Konzept ,Wir, die Luxemburger und ihr, die Ausländer‘ konfrontiert. Auch wenn sie in Luxemburg geboren wurden“, fuhr die Sozialarbeiterin als Gastrednerin der Konferenz „Being Black in Luxembourg“ fort.

Verstörende Ergebnisse

Eingeladen hatten die „Association de soutien aux travailleurs immigrés“ (ASTI), das „Centre pour l’égalité de traitement“ (CET), das „Comité de liaison des associations d’étrangers“ (CLAE) und die Luxemburger Menschenrechtskommission CCDH, um einen sehr spezifischen Missstand in der Luxemburger Gesellschaft anzuprangern. Spätestens seit der Veröffentlichung einer entsprechenden Studie der Europäischen Agentur für Menschenrechte steht nämlich fest: Luxemburg hat ein Rassismus-Problem.

Die Resultate der im November 2018 veröffentlichten Studie mit dem Titel „Being Black in the EU“ verstören ein Jahr später immer noch. In einem Land, das sich gerne als Paradebeispiel von Integration und Interkulturalität präsentiert, gibt jeder zweite Mitbürger schwarzer Hautfarbe an, in den letzten fünf Jahren rassistisch beleidigt worden zu sein. Unter den zwölf in der Studie repräsentierten Ländern rangiert das Großherzogtum nach Finnland an zweiter Stelle. Schlimmer noch: Rund 70 Prozent der Befragten gaben an, wegen ihrer Hautfarbe und Herkunft benachteiligt worden zu sein. Damit liegt Luxemburg deutlich über dem europäischen Schnitt von 39 Prozent.

Für ihre Magisterarbeit hat sich Mirlene Fonseca Monteiro mit 22 jungen Menschen kapverdischer Herkunft unterhalten. Das Thema: Ihre Erfahrungen als Schwarze in der Luxemburger Gesellschaft.

Auch wenn in der Studie nur zwölf europäische Länder unter die Lupe genommen wurden, sind die Zahlen doch alarmierend. Das unterstrich auch Michael O’Flaherty: „Die Situation in Luxemburg ist äußerst besorgniserregend“, so der Direktor der Agentur für Menschenrechte gleich mehrmals im Verlauf der Konferenz. Damit gehöre das Großherzogtum neben Irland, Finnland und Österreich zu jenen vier Ländern, die die in Wien ansässige Agentur als problematisch bezeichnet.

Nachteile haben Schwarze der Studie zufolge vor allem auf dem hiesigen Arbeits- und Wohnungsmarkt. Allein bei der Jobsuche fühlte sich jeder Zweite aufgrund seiner Hautfarbe benachteiligt, während 52 Prozent der Befragten sich bei der Ausübung ihrer Arbeit rassistisch beleidigt fühlten. „In Luxemburg sind 74 Prozent der Bevölkerung im Besitz ihrer eigenen Unterkunft. Im Gegenzug aber darf sich nur einer von fünf Schwarzen Hausbesitzer nennen“, so O’Flaherty. Zwar seien diese Zahlen vergleichbar mit dem Rest der EU, allerdings ändere das nichts an der prekären sozioökonomischen Situation, in der sich viele Schwarze befinden: 56 Prozent sehen sich finanziell gefährdet, 14 Prozent haben sogar Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen.

Barrieren in den Köpfen

Äußerst schockiert zeigte sich Integrationsministerin Corinne Cahen: „Ich hätte nie gedacht, dass in Luxemburg im Jahr 2019 noch so große Vorurteile herrschen“, sagte die Ministerin im Anschluss an die Ausführungen von O’Flaherty und Monteiro. Zwar dürften die Zahlen der Politikerin längst bekannt sein, doch waren es vor allem die Ausführungen der Sozialarbeiterin, die viele Anwesende ins Grübeln brachten. „Der Schwarze wird sofort als Ausländer abgestempelt“, so die junge Frau in einer Art Schlussfolgerung.

Tatsächlich fühlten sich ihre Schützlinge zwar als Luxemburger, jedoch zweifelten sie daran, von der Luxemburger Gesellschaft auch als solche wahrgenommen zu werden. „Ich hatte nie einen Lehrer, der mich als Luxemburgerin gesehen hat. Dabei bin ich hier geboren und habe die Luxemburger Staatsbürgerschaft“, zitierte Monteiro eine junge Frau aus ihrer Studie. Ähnlich sei es einer anderen Jugendlichen ergangen, deren Schwester einen neuen Ausweis beantragen musste. Der Beamte habe jedoch darauf beharrt, dass sie wohl eher eine Aufenthaltsgenehmigung benötige. Erst beim Einblick in die Akten sah er seinen Fehler ein. „Eine Entschuldigung gab es jedoch nicht“, erinnerte sich die junge Erzählerin.

„In ihren Köpfen haben die Luxemburger eine feste Vorstellung davon, wie es ist, Afrikaner zu sein oder Portugiese. Und du kannst machen, was du willst … du wirst nie richtig dazugehören“, so ein weiteres Zitat aus der Studie. Diese Ausgrenzung führe zu Unverständnis, Wut und Verzweiflung bei den jungen Menschen dunkler Hautfarbe, so Monteiro. Rassismus sei eine Realität im Großherzogtum. „Ich hoffe aber, dass wir die letzte Generation sind, die in unserer Heimat als Ausländer wahrgenommen wird“, beendete die junge Frau kapverdischer Herkunft ihre Ausführungen. Wofür sie tosenden Applaus erntete.

Viele Klagen, wenig Lösungen

Von einer Lösung aber scheint Luxemburg noch etwas entfernt. Zumindest wenn man den Ausführungen und Reaktionen aus dem Publikum Glauben schenken kann. „Die Ministerin ist schockiert, dass es so etwas noch im Jahr 2019 gibt? Das schockiert mich wiederum“, meinte eine Frau kapverdischer Abstammung. Sie sei ebenfalls in der Schule diskriminiert worden. Das sei aber 15 Jahre her. „Und es hat sich nichts geändert. Wo waren Sie in den letzten 15 Jahren, dass sie das nicht mitbekommen haben?“, sagte die aufgebrachte Frau.

Eine schlechte Note wurde der Regierung auch vom Präsidenten der EU-Kommission gegen Rassismus und Intoleranz ausgestellt: „Wir bedauern, dass es so lange gedauert hat, bis der Aktionsplan zur Integration überhaupt erst ausgearbeitet wurde“, unterstrich Jean-Paul Lehners, der auch mehr Mittel für das CET forderte. „Sie haben absolut keine Mittel, ihrer Arbeit nachzugehen. Die Lage ist geradezu katastrophal.“

Eine Kämpfernatur

Luxemburger Wort 2. November 2019

Meliha Agovic-Imamovic entflieht im Alter von 19 Jahren dem Bosnienkrieg und startet in Esch einen Neuanfang

Von Anne Heintz , Luxemburger Wort 2. November 2019

Esch/Alzette. Jedes Mal, wenn Meliha Agovic-Imamovic Meldungen über Flüchtlingsdramen in der Welt hört, geht ihr das tief unter die Haut. Sie erträgt dieses unmenschliche Gräuel nicht mehr. Nur zu gut weiß sie, wie es sich anfühlt, ein Flüchtling zu sein. Verscheucht aus dem eigenen Land, weil dort Krieg und Elend herrschen.

Omers Odyssee

Omers Odyssee
Ein 28-jähriger Flüchtling erzählt, wie er aus dem Sudan nach Luxemburg zu „Mama Julie“ in Petingen kam

Petingen. „Mama Julie“. So nennt Omer Ibrahim (28) die 83-jährige Julie Putzeys-Zeimes, die ihn bei sich in Petingen aufgenommen hat. Er ist nicht der erste Flüchtling, dem sie ihre Tür öffnet.
Die Geschichte von Omer Ibrahim hat es ihr aber angetan. Er hat eine Irrfahrt hinter sich, die derjenigen des Odysseus kaum nachstehen dürfte. Dabei wurde er unter anderem in Libyen ausgebeutet und wäre um ein Haar im Mittelmeer ertrunken. Doch alles der Reihe nach.
Gemeinsam mit „Mama Julie“ am Küchentisch sitzend, fängt Omer Ibrahim mit dem Erzählen an. Dies auf Französisch, eine Sprache, die er vor gut drei Jahren, als seine Irrfahrt begann, noch nicht beherrschte. (..)

Luxemburger Wort 30.Oktober 2019

Flüchtling rettet jungen Mann vor dem Ertrinken im Stausee

Sprung ins Wasser

28-jähriger Flüchtling rettet einen jungen Mann vor dem Ertrinken im Stausee

Es sollte ein entspannter Ausflug unter Freunden an den Stausee werden. Doch dann kam für Ahmed Alabdulmohsen alles anders. Vor seinen Augen geriet am vergangenen 23. Juni beim Strand in Burfelt ein junger Mann im Wasser in Schwierigkeiten. Der gebürtige Syrer, der vor drei Jahren als Flüchtling nach Luxemburg kam, zögerte keinen Moment und rettete ihm das Leben. Eine Geste, die der 28-Jährige in seiner Heimat bereits des Öfteren durchgeführt hatte.

Luxemburger Wort 23. Juli 2019