„Die Populisten haben eine Lösung im Angebot, die funktioniert“
„Die Populisten haben eine Lösung im Angebot, die funktioniert“
Der Soziologe und Migrationsforscher Ruud Koopmans glaubt nicht daran, dass die Migrationskrise innereuropäisch gelöst werden kann. Gängige Thesen hält er für widerlegt.
Während sich die Länder auf EU-Ebene noch immer nicht auf einen gemeinsamen Kurs in der Migrationsfrage geeinigt haben, nimmt der Druck an der Außengrenze weiter zu. In den Staaten regt sich über diese außer Kontrolle geratene Zuwanderung zunehmend gesellschaftlicher, aber auch politischer Widerstand, der bereits erste Erfolge zeitigt, wie jüngst in den Niederlanden. Das „Wort“ hat mit dem Soziologen und Migrationsforscher Ruud Koopmans unter anderem über Fragen der Migration und gescheiterten Integration gesprochen.
Ruud Koopmans, in den europäischen Hauptstädten gab es nach dem Angriff der Hamas auf Israel bizarre Jubelszenen. Was sagt das über die Integrationsfähigkeit der Länder aus?
Zunächst muss man klarstellen, dass es nicht nur Menschen mit palästinensischem Hintergrund sind. Sie sind wahrscheinlich eher in der Minderheit. Es sind Menschen mit arabischen oder türkischem Hintergrund. Mit dabei sind auch Linksextremisten und versprengte Rechtsextremisten. Das ist ein buntes Gemisch. Aber natürlich, der Hauptteil sind Menschen mit einem muslimischen Migrationshintergrund. Und das muss man schon als Anzeichen für gescheiterte Integration betrachten. Es ist auch ein Scheitern der Einwanderungspolitik, weil nicht wenige von ihnen erst mit der Flüchtlingswelle von 2015 eingewandert sind. Da muss man Fragezeichen setzen. Können wir einfach weiterfahren mit einer Zuwanderungspolitik, die vor allem über den Kanal der Asylmigration Menschen ohne jede Art von Sicherheitsprüfung in die EU einwandern lässt?
Viele Länder haben Schwierigkeiten, abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimatländer abzuschieben. Lässt sich dieses Problem lösen oder haben die Länder hier keine realistische Handhabe?
Man muss die Zuwanderungspolitik überdenken. Wenn die Menschen einmal in der EU sind, kann man aus juristischen Gründen in den meisten Fällen nichts mehr machen. Und deshalb halte ich es auch für sehr wichtig, dass wir das Asylrecht so reformieren, dass wir Menschen nicht mehr ungeprüft hineinlassen. Wenn sie Gefährder sind, sogar wenn sie terroristische Straftaten begangen haben, können wir sie nicht zurückschicken, weil Gerichte dann sagen: Nein, wir können nicht nach Afghanistan, nach Syrien, in die Türkei, nicht mal nach Griechenland abschieben. Die Hürden für eine Abschiebung sogar im Rahmen des Dublin-Systems innerhalb der EU sind dermaßen hoch, dass „einmal drin, immer drin“ bedeutet.
Australien hat es geschafft, die Zahl der ertrunkenen Migranten nahezu auf null zu reduzieren. Wäre die australische Strategie des „no way“ auch für das Mittelmeer denkbar?
Wir müssen umsteuern von irregulärer Migration hin zu einer regulären Asylmigration. Und das ist, was Australien gemacht hat. Ein immer unterschlagener Teil der australischen Lösung ist, dass Australien zu gleicher Zeit die Aufnahme von Flüchtlingen über Kontingente und humanitäre Visa erhöht hat, sodass Australien jetzt pro Kopf genauso viele Flüchtlinge aufnimmt wie die EU im Durchschnitt. Ich halte es für gut, wenn wir das Gleiche machen würden. Wir brauchen dafür Abkommen mit Drittstaaten. Das müsste von einer Kommunikationskampagne begleitet werden, die deutlich macht: Es gibt keinen irregulären Weg mehr in die EU. In Westafrika müssten wir dazu sagen: Wir schaffen im Gegenzug legale Wege für Arbeitsmigration – diese folgen dann bestimmten Kriterien und sind quantitativ limitiert. Es ist nicht nur eine „no way“-Kampagne, sondern es gibt einen „another way“ – aber mit Grenzen. Wenn jemand persönlich und akut politisch verfolgt wird, kann die Person auch einen Antrag auf ein humanitäres Visum bei einer Botschaft stellen.
Dänemark hat durch eine Kehrtwende in der Asylpolitik die Zahl der Anträge stark senken können. Könnte die Politik Dänemarks beispielhaft für die EU sein?
Das wird nicht so viel bringen, wenn jetzt alle EU-Länder dem Vorbild Dänemarks folgen würden. Das funktioniert für einen einzelnen Staat, vor allem, wenn es ein kleiner Mitgliedstaat wie Dänemark ist. Für Luxemburg wäre das bestimmt eine effektive Strategie. Vielleicht macht Luxemburg das auch? Wenn Asylsuchende wissen, dass die Bedingungen im Land X schlechter sind als im Land Y, dann werden sie eher zum Land Y gehen. Das sind aber Entscheidungen, die erst getroffen werden, wenn die Menschen in Europa sind. Das beeinflusst nicht, ob sich jemand aus Nigeria oder aus der Türkei oder aus Afghanistan auf den Weg macht. Es werden nicht merkbar weniger Menschen nach Europa kommen, wenn wir die Leistungen für Asylbewerber herunterschrauben. Schauen wir auf die europäischen Außengrenzen, welche Länder den Zugang zu Europa kontrollieren oder kontrollieren könnten, dann sprechen wir über Marokko, Tunesien, die Türkei und Belarus. Mit dem letztgenannten Land kann man keine Verhandlungen führen. Was hindert Putin oder Lukaschenko daran, die Visa-Verpflichtung für Menschen aus dem Libanon oder für Palästinenser aus Ägypten aufzuheben? Und innerhalb kurzer Zeit stehen dann Tausende Palästinenser an der polnischen Grenze. Dann hätten wir wieder nur Pushbacks. Wir können die Menschen mit Gewalt zurückdrängen. Kann man machen, aber man wäre viel besser aufgestellt, wenn man mit einem Drittstaat wie Ghana ein Abkommen für die Durchführung von Asylverfahren dort hätte. Dann würde kein einziger Palästinenser auf dieses Angebot von Lukaschenko eingehen. Die wollen nicht nach Ghana. Sie wollen nach Luxemburg oder Deutschland.
Es gibt keine nationale Lösung und es gibt auch keine innereuropäische Lösung. Wir brauchen eine Lösung, die den Zustrom über die europäische Außengrenze unter Kontrolle bringt
Sie sprechen die Ereignisse an der polnisch-belarussischen Grenze an. Sind illegale Maßnahmen die effektiveren Maßnahmen gegen illegale Migration?
Das kann man so sagen. Es wird oft behauptet, man könne Migration nicht kontrollieren, wir können das nicht steuern, die Menschen kommen sowieso. Das stimmt einfach nicht. Wir haben es beim Türkei-Deal und an der belarussischen Grenze gesehen. Migration lässt sich sehr gut kontrollieren, wenn man nicht auf rechtsstaatliche Prinzipien achtet; Mauern, Zäune – funktioniert alles. Man kann meine Vorschläge kritisieren, doch macht man so weiter, erhält man im günstigsten Fall den blutigen, tödlichen und ungerechten Status quo. Aber viel wahrscheinlicher ist, man bekommt die Alternative der Orbáns dieser Welt, nämlich einfach zu mauern. Das funktioniert. Die Rechten, die Populisten, die haben eine Lösung im Angebot, die funktioniert.
Warum wird dann so oft behauptet, dass man Migration nicht steuern und begrenzen kann?
Dahinter steckt ganz einfach, dass man Migration nicht steuern will. Und wenn man es nicht möchte, dann ist es natürlich sehr gut zu sagen, man kann es nicht.
Hinsichtlich der Motivation der Migranten werden immer die sogenannten Pull-Faktoren ins Spiel gebracht. Gibt es so etwas aus Ihrer Sicht überhaupt?
Die Kategorisierung in Push- und Pull-Faktoren ist in der Migrationsforschung überholt, weil sie in vielen Fällen zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Man kann sagen, es gibt den Pushfaktor, beispielsweise die Armut in Afrika, und es gibt den Pull-Faktor des Reichtums und der Wohlfahrt in Europa. Letztendlich ist es das Gefälle zwischen den beiden. Das ist, was Leute anzieht. Ein Syrer, der von Syrien in die Türkei wandert, wird einzig und allein getrieben von den Bomben von Assad oder dem Terror des IS.
Aber die Motivation von der Türkei dann weiterzuziehen nach Europa, die ist zum größten Teil wirtschaftlich, weil die Wohlfahrtsbedingungen, die Arbeitsmarktchancen, nicht zu vergessen auch die Chancen für die Zukunft der Kinder, Bildungssysteme, Gesundheitssysteme, weitaus besser sind. Der Grund, warum die Menschen nicht in Griechenland bleiben wollen, ist ja auch, dass Griechenland im Vergleich zur Türkei nicht wirklich eine große Verbesserung ist. Aber Deutschland, die Niederlande, Luxemburg – da reden wir über entscheidende Differenzen.
Das Problem lässt sich nicht innerhalb Europas lösen. Ich glaube, das ist die wichtigste Message. Es gibt keine nationale Lösung und es gibt auch keine innereuropäische Lösung. Wir brauchen eine Lösung, die den Zustrom über die europäische Außengrenze unter Kontrolle bringt. Und diese Lösung gibt es nur durch Zusammenarbeit mit Drittstaaten.
Wie könnte aus Ihrer Sicht eine Migrationspolitik gestaltet werden, die sowohl den Migranten als auch der angestammten Bevölkerung gerecht wird?
Durch eine kontrollierte, aber zur gleichen Zeit großzügige Flüchtlingspolitik. Großzügig im Sinne, dass es nicht um Abschottung gehen sollte, nicht darum, uns unserer humanitären Verpflichtungen, die wir als reicher Kontinent haben, zu entziehen, sondern um eine offene, gerechte und effizientere Art und Weise, meinetwegen genauso vielen Menschen zu helfen, wie bisher, aber dann auf eine sozial verträgliche Art und Weise für die Bevölkerung Europas. Wir müssen wegkommen von diesen großen Schwankungen in den Zahlen.
Sie sind es, die die Überstrapazierung der Aufnahmekapazitäten verursachen. Wenn ganz plötzlich sehr viele Menschen kommen, dann kann der Arbeitsmarkt das nicht absorbieren. Und dann gibt es noch die politische Aufnahmekapazität. Die Tatsache, dass jetzt viele Menschen kommen, die gar nicht schutzbedürftig sind und wir sie trotzdem nicht loswerden, auch wenn sie Straftaten begehen – das unterminiert die Legitimität des gesamten Flüchtlingsregimes enorm. Das gibt den Rechtspopulisten Zulauf.
Auf EU-Ebene steht ein Migrationspakt zur Diskussion. Wäre damit etwas hinsichtlich der Migrationspolitik gewonnen?
Der Migrationspakt ist nicht ganz unwichtig, aber auf sich alleine gestellt weitgehend wirkungslos. Zunächst wird es eine Weile dauern, bis er überhaupt wirklich umgesetzt wird. Aber nehmen wir jetzt mal an, dass er umgesetzt sei. Dann wäre noch wenig gewonnen, weil dann ein Teil der Asylsuchenden in ein Grenzprozedere kommt. Dort wird innerhalb von sechs Monaten festgestellt, ob jemand schutzbedürftig ist oder nicht oder wenigstens ein Asylverfahren erhält. Gibt es eine Ablehnung, dann sollen diese Menschen zügig rückgeführt werden. Und da ist wieder die offene Frage, wohin denn?
In Luxemburg sowie in Deutschland leben Menschen, deren Asylbegehren abgelehnt wurden, die aber aufgrund von Abschiebehindernissen nicht zurückgeführt werden können. Was tun?
Ich denke in dem Moment, in dem wir eine effektive Kontrolle über die Außengrenzen erreicht hätten, in dem Moment müsste man diese Gruppe einfach legalisieren. Das Chancenaufenthaltsrecht in Deutschland geht in diese Richtung – nur in der falschen Reihenfolge. Wenn man legalisiert, bevor die Kontrolle über die Außengrenzen gewonnen ist, dann ist es lediglich ein weiterer Anreiz.
Zur Person
Prof. Dr. Ruud Koopmans (62) ist Professor für Soziologie und Migrationsforschung am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität Berlin. Größere Bekanntheit erlangte Koopmans mit seinen beiden Monographien „Das verfallene Haus des Islam“ (2020), in dem er den Aufstieg und Verbreitung des islamischen Fundamentalismus analysiert, sowie „Die Asyllotterie“ (2023), in der er die ungleichen Chancen hinsichtlich des Migrationserfolgs – der dem Gesetz des Stärkeren folgt – zum Gegenstand seiner Untersuchung macht.