„Doppelte Gewichtung zwischen Flüchtlingen langsam unangenehm“

Luxemburger Wort 24. Oktober 2022

Warum die Aufnahme von Ukrainern gezeigt hat, dass im Immigrations- und Integrationsbereich doch mehr möglich ist als bislang gedacht, verrät Pascale Zaourou des CLAE.

Die Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten seit Ende Februar hat gezeigt, dass im Immigrations- und Integrationsbereich viel Luft nach oben ist. Pascale Zaourou, Präsidentin des CLAE (Comité de Liaison des Associations d’Etrangers), bemängelt hierbei, dass zivilgesellschaftlichen Organisationen bei ihren Bemühungen, das Zusammenleben zu fördern, bürokratische Steine in den Weg gelegt werden. Warum ein „Ministère de la Citoyenneté“ etwas daran ändern könnte, erklärt Zaourou im Interview mit dem „Luxemburger Wort“.

Pascale Zaourou, wie läuft die Kommunikation zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen im Land und den zuständigen Ministerien?

Die Pandemie war eine dramatische Zeit für zivilgesellschaftliche Vereinigungen. Wir sind per definitionem auf den Kontakt zwischen Menschen angewiesen. Sind wir nicht mehr in der Lage dazu, Veranstaltungen zu organisieren, weil niemand mehr sein Haus verlassen darf, verlieren wir unsere Daseinsberechtigung. Nun schaut es so aus, als ob wir von dieser Funkstille zwischen Zivilgesellschaft und den Ministerien, die in der Pandemie herrschte, langsam wieder wegkommen.

Wir brauchen dringend Antworten. Zehn Jahre auf eine Lösung zu warten, genügt uns nicht.

Die CLAE hat im letzten Sommer einen offenen Brief der Flüchtlingshilfsorganisation Passerell unterzeichnet: Darin wird vor allem die passive Haltung der Regierung kritisiert, wenn es darum geht, Projekte im Zusammenhang mit dem Schutz der Menschenrechte zu unterstützen. Ist das Schicksal Passerells repräsentativ für die Behandlung zivilgesellschaftlicher Vereinigungen hierzulande?

Passerell ist ein gutes Beispiel und wir bedauern sehr, dass dieser Vereinigung nicht die Unterstützung geliefert wurde, die ihr zustand. Wir sprechen hier nicht über irgendeine Vereinigung, sondern über die einzige Organisation hierzulande, die auf dem Feld des Menschenrechtsschutzes tätig ist. Niemand anderer bietet Asylbewerbern in Luxemburg kostenfreie Rechtsberatungen zu ihrem Asylstatus oder der Familienzusammenführung an. Verschwindet eine solche Vereinigung, dann sehe ich darin eine Schwächung des Menschenrechtsschutzes in Luxemburg.
Wie eine Hilfsorganisation sang- und klanglos untergeht

Das Beispiels Passerells veranschaulicht, dass es nicht genügt, in Kulturprojekte zu investieren. So können Vereinigungen mit bestimmten Schwerpunkten nicht dauerhaft überleben. Es gibt im Bereich der Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements noch viel zu tun. Der Zugang zu Räumlichkeiten und Subsidien als auch eine Diversifizierung der Projektaufrufe müssen in Zukunft die Priorität der zuständigen Ministerien sein.

Vor allem muss der wachsenden Bürokratisierung für Vereinigungen Einhalt geboten werden, damit alle Vereinigungen Zugang zu den Ressourcen bekommen, die sie brauchen, um sich hierzulande nützlich zu machen – denn zu oft ist es noch so, dass immer dieselben Vereinigungen von Subsidien profitieren dürfen. Das muss sich in Zukunft ändern.

Pascale Zaourou ist seit November 2021 die neue Präsidentin des Comité de Liaison des Associations d’Etrangers (CLAE).
Pascale Zaourou ist seit November 2021 die neue Präsidentin des Comité de Liaison des Associations d’Etrangers (CLAE).
Foto: Luc Deflorenne

Wie einfach ist es für Sie, die Trennlinie zwischen Integration und Immigration, die wohlgemerkt unter der Zuständigkeit zwei verschiedener Ministerien fallen, zu ziehen?

Es sind zwei Seiten derselben Medaille. Sie sind nicht voneinander zu trennen, weswegen wir von der CLAE uns seit Jahren dafür stark machen, dass endlich ein „Ministère de la Citoyenneté“ zustande kommt. Damit wir endlich damit aufhören, die Sorgen von Luxemburgern und Nicht-Luxemburgern so distinktiv voneinander zu trennen. In einem Land mit fast 49 Prozent Menschen, die die Luxemburger Staatsbürgerschaft nicht besitzen, wäre die Gründung eines solchen Ministeriums ein starkes Zeichen der Politik, dass sie sich für die Frage der Migration hierzulande interessiert.

Andererseits könnte dieses neu gegründete Ministerium zudem deutlicher auf die Interessen der 200.000 Grenzgänger der Großregion, die täglich nach Luxemburg pendeln, um den Wohlstand unseres Landes zu erhalten, eingehen. Bessere Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel, die Förderung eines Großregion übergreifenden kulturellen Lebens, die Frage nach dem Homeoffice – all das würde in diesem Ministerium auch zur Sprache kommen.

Warum Menschenrechtsorganisationen um ihre Existenz bangen

Welche Rolle spielt für Sie Integration in einem Land, in dem fast die Hälfte des Landes nicht die Luxemburger Staatsbürgerschaft besitzt?

In Luxemburg von Integration zu reden, ist ein gewisses Paradoxon. Worin integriert man sich? An welches kulturelle Modell muss man sich anpassen? Hierzulande valorisieren wir Kulturen, die der Migration entspringen. Dieses Valorisieren ist ein entscheidender Faktor, damit Menschen aufeinander zugehen. Im multikulturellen Luxemburg gibt es kein gesetztes kulturelles Modell, an das man sich anpassen könnte. Letztlich macht Diversität die Stärke unseres Landes aus – denn ja, Kulturen, die dem Migrationsprozess entstammen, bereichern Luxemburg und erweitern unsere Sichtweise auf die Welt.

Eine Arbeit finden, eine Wohnung, Zugang zu Bildung haben, die Möglichkeit, sich am kulturellen und gesellschaftlichen Leben beteiligen zu dürfen – das sind jedoch die Bedingungen, die gestellt werden müssen, um auch Zuwanderern das Zusammenleben im Land zu erleichtern.

Im multikulturellen Luxemburg gibt es kein gesetztes kulturelles Modell, an das man sich anpassen könnte, denn letztlich macht Diversität die Stärke unseres Landes aus.

Wie würden Sie den Begriff Integration definieren?

Es ist ein Prozess, den jeder durchläuft, denn wie bereits erwähnt, fördern wir das Zusammenleben durch unsere Teilnahme am kulturellen und am wirtschaftlichen Leben. Integration hängt also nicht mit unserer Staatsbürgerschaft zusammen. Für Zuwanderer ist aber der Integrationsprozess mit größeren Hürden verbunden. Für Asylbewerber ist der freie Zugang zum Arbeitsmarkt beispielsweise nicht gegeben und die Aufenthaltsgenehmigung stark einschränkend.

Wer nach Luxemburg über die Arbeit zieht, dem wird der Integrationsprozess leicht gemacht. Wer in einem englischsprachigen Unternehmen arbeitet, wird nicht verpönt, weil er kein Luxemburgisch kann. Von ihm wird nicht erwartet, dass er eine andere Sprache lernt, weil er eben zu Hause und bei der Arbeit nur Englisch spricht. Wer aber ohne Arbeit nach Luxemburg kommt, wird mit der Hürde konfrontiert, wenigstens eine Landessprache erlernen zu müssen, um einer Beschäftigung nachgehen zu können. Da fangen die Ungerechtigkeiten an, die sich im Laufe des Integrationsprozesses multiplizieren können.

Geht Luxemburg ungerecht mit Asylbewerbern um?

Ungerechtigkeiten existieren hierzulande, das ist ganz sicher. Ich würde nur eher den Begriff Ungleichheiten benutzen. Denn hebt man Ungleichheiten auf, führt das zur Gleichheit. In einem solchen Zustand wäre das Zusammenleben friedlicher.

Der Begriff Integration wurde über die letzten Jahre durch „Zusammenleben“ ersetzt. Schaut man auf die Lage von Asylbewerbern hierzulande, würden Sie behaupten, dass wir das Prinzip des Zusammenlebens applizieren? Oder leben Asylbewerber, Luxemburger, Nicht-Luxemburger und Grenzgänger nur nebeneinander statt zusammen?

Dass der politische Wille fehlt, die Migrationsfrage zu beantworten, ist eine Realität. Es fehlt an Sozialwohnungen. Diese Problematik betrifft zwar alle im Land, doch sind es Asylbewerber, die daraufhin mehrere Jahre in unangepassten Aufnahmestrukturen leben müssen. Es werden zwar Pläne geschmiedet, um die Wohnungskrise anzugehen, konkret passiert aber zu wenig. Wir brauchen dringend Antworten. Zehn Jahre auf eine Lösung zu warten, genügt uns nicht. Das gilt auch für die Familienzusammenführung – ein ewiges Sorgenkind der Migrationspolitik, obwohl wir seit Jahren danach verlangen, dass das ganze Prozedere vereinfacht werden soll.

Es ist politisch mehr möglich, als wir es jemals gedacht hätten. Es fehlt oft nur der Wille.

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Warum wird scheinbar so wenig unternommen?

Die Politik richtet sich nach dem Willen der Wahlberechtigten. Die Stimme von Flüchtlingen fällt dabei nicht ins Gewicht. Ohne wirkliche demokratische Beteiligung der Gesamtbevölkerung wird es in Zukunft weiterhin schwer sein, die Interessen aller im Land zu vertreten.

Was ist die Schlussfolgerung, die Sie bezüglich der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge aus den letzten Monaten ziehen?

Als die ersten Ukrainer in Luxemburg angekommen sind, hat sich die Situation im Migrationsbereich sichtlich gelockert – nur nicht für alle: offener Zugang zu Arbeitsmarkt und Sozialversicherung, Unterkünfte wurden aus dem Boden gestampft und dort, wo vorher kein Platz für Flüchtlinge aus Afghanistan oder Eritrea war, entstanden Aufnahmestrukturen – wir haben es hier mit einer ungleichen Behandlung zu tun. Selbst afrikanischstämmige Menschen, die beim Ausbruch des Krieges in der Ukraine dort anwesend waren, wurde die Erlangung des Schutzstatus erschwert. Diese Ungleichheiten sind schreiend und werfen Fragen bezüglich der Einhaltung der Menschenrechte auf.

Durch die jetzige Migrationswelle aus der Ukraine wird für uns ersichtlich: Es ist politisch mehr möglich, als wir es jemals gedacht hätten. Es fehlt oft nur der Wille.