Ein Musiker aus Syrien fand seinen Frieden in Luxemburg
Mit einer Geige im Gepäck floh Ahed Kiwan nach Europa. Doch im Großherzogtum landete nur er … nicht sein Instrument.
Der Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad beherrschte in den vergangenen Tagen die Medien. Vielerorts in Europa, unter anderem in Luxemburg, feierten Syrer, häufig Flüchtlinge, die das arabische Land verlassen mussten, die Geschehnisse in ihrer ehemaligen Heimat als ein Zeichen der Hoffnung.
So auch Ahed Kiwan, der seit zwei Jahren im Großherzogtum eine neue Heimat gefunden hat. Für den 26-Jährigen ist die jetzige Zeit des Umbruchs von Unsicherheit geprägt. Natürlich freut er sich über das Ende des verbrecherischen Regimes und hofft, dass dies der erste Schritt zum Aufbau eines demokratischen Staates ist. Seine Geschichte und die Strapazen, die er auf sich genommen hat, stehen wohl stellvertretend für das Schicksal vieler Syrerinnen und Syrer. Ein Schicksal, das man sich in Mitteleuropa kaum vorstellen kann oder will.
Flucht nach Europa
Ahed Kiwan wurde in Damaskus geboren und lebte dort bis 2012. Danach siedelte seine Familie in die Heimat seiner Eltern um, nach as-Suwaida, eine Stadt, die etwa 100 Kilometer von Damaskus entfernt ist. „Wir wurden dazu gezwungen“, erklärt der positiv auftretende junge Mann während eines Besuchs in der „Luxemburger Wort“-Redaktion. Er und seine Familie gehören der Religionsgemeinschaft der Drusen an, einer Minderheit, die unter al-Assad verfolgt wurde.
Zunächst konnte er in seinem Heimatland Finanzwirtschaft mit Schwerpunkt Rechnungswesen studieren. „Hätte ich das Studium abgeschlossen, wäre ich zum Militärdienst eingezogen worden.“ Und das wollte er vor allem aus einem Grund nicht: Ahed Kiwan lehnte es ab, mit der Waffe gegen seine Landsleute zu kämpfen.
Die einzige Lösung für ihn und einige seiner Freunde war die Flucht nach Europa. Den Plan fasste er bereits 2018, machte sich aber erst vier Jahre später auf den Weg.
Gerne wäre er mit der ganzen Familie nach Europa aufgebrochen, doch das war finanziell nicht möglich. Sein Vater musste, wie Ahed offen zugibt, viel Geld bezahlen, um seinem ältesten Sohn ein Leben in Freiheit zu ermöglichen. Seine Eltern und seine drei jüngeren Geschwister, ein Bruder und zwei Schwestern, blieben zurück.
Für Ahed begann 2022 eine Reise ins Ungewisse. Die erste Station hieß Russland, von dort ging es weiter über Belarus und Polen nach Deutschland, zunächst nach Berlin. Luxemburg habe eigentlich nicht auf seiner Agenda gestanden: „Ich wollte nur in Frieden leben und gleichzeitig mein damaliges Leben unter besseren Bedingungen weiterführen.“
Sein Gepäck auf der beschwerlichen Reise in Richtung Hoffnung war klein. Immer mit dabei war seine Violine. Mit sechs Jahren hatte er erstmals Unterricht, legte dann nach der Vertreibung aus Damaskus gezwungenermaßen eine Pause ein.
Im Sumpf an der polnischen Grenze
Erst während seines Studiums in Syrien griff Ahed wieder zu seinem Instrument, unterrichtete schließlich auch selbst, unter anderem seine drei Geschwister. „Ich hatte rund 68 Schülerinnen und Schüler aller Altersstufen“, berichtet er. „Man tut sein Bestes, aber große Konzerte oder Ähnliches waren wegen des Krieges nicht möglich.“ Auch in der Hauptstadt lag das kulturelle Leben zu dieser Zeit schon längst brach.
Der junge syrische Flüchtling ist kein Mann der großen Worte und doch begegnet er seinem Gegenüber im Gespräch mit großem Respekt, beantwortet höflich alle Fragen, möchte aber nicht ins Plaudern geraten. Seine positive Einstellung erklärt er ganz bescheiden damit, dass es schließlich nicht die schwierige Situation seines Gegenübers sei, sondern seine eigene, über die man spricht. „Und wenn das Leben mir zulächeln kann, dann kann ich auch zurücklächeln und immer auf das Beste hoffen.“
Seine Begleitung am Tag des Redaktionsbesuchs, Marijane Andreopoulos, die sich für die Mobile Bibliothek des Malteserordens engagiert, gleichzeitig seine Englischlehrerin und für Ahed eine Ersatzgroßmutter ist, muss dem jungen Mann ein wenig auf die Sprünge helfen und ihn an manche Ereignisse seiner vergangenen Jahre erinnern, die unglaublich klingen.
Wie etwa an die Geschichte vom Verlust seiner Geige. Er trug sie während der Flucht immer bei sich, doch in Belarus geschah das Unglück. „Ich habe rund ein Dutzend Mal probiert, die Grenze nach Polen zu überqueren. Bei einem Versuch bin ich in einem Sumpfgebiet gestürzt und dabei ist das Instrument zu Bruch gegangen.“
In Luxemburg begann nach der Ankunft und der Versorgung in einem Auffangzentrum für Flüchtlinge sein neues Leben, das Ahed seitdem in geregelte Bahnen zu lenken versucht. Er plant zum Beispiel bald wieder ein Studium aufzunehmen. Vorher stehen aber noch Englisch- und Französischkurse auf der To-do-Liste. Seine Kenntnisse in beiden Sprachen waren bis zum Zeitpunkt der Flucht eher rudimentär.
Die Musik kehrt zurück ins Leben
Mit der Musik, seiner großen Leidenschaft, begann er wieder so schnell wie möglich. „Ich habe ständig beim Roten Kreuz nachgefragt, ob sie nicht eine Geige für mich hätten. Irgendein Instrument, denn ich wollte wieder spielen.“ Eine Freundin von Marijane war schließlich der rettende Engel, der ihm diesen Wunsch erfüllte. „Ich musste der Frau jedoch erst beweisen, dass ich darauf spielen kann“, so Ahed mit einem Lachen.
Es folgten ein Vorspiel bei Patrick Coljon, Manager der Luxembourg Philharmonic, der Ahed bescheinigte, dass sein Talent ausreiche, um weiterhin Unterricht am hauptstädtischen Konservatorium zu nehmen. Und wenig später dann die Anfrage, ob er nicht Interesse daran habe, Teil des Ensembles Orchestre Place de l‘Europe zu werden.
Das Angebot nahm er dankend an. Mittlerweile sind seine Mitmusikerinnen und Mitmusiker, die meisten Amateure, für Ahed wie „eine große Familie“ geworden. Er ist sehr dankbar, wie er immer wieder betont, Teil dieses musikalischen Ensembles unter der Leitung von Benjamin Schäfer zu sein. Seine Lehrkräfte wie etwa Dominique Poppe und Pascal Monlong möchte er ebenfalls nicht unerwähnt lassen. Mittlerweile wurde ihm von der Fondation EME, mithilfe von Sarah Bergdoll, ein neues Instrument zur Verfügung gestellt. Und Unterricht gibt er selbst nun auch wieder.
Wie wichtig Musik für den jungen Mann über den Spaßfaktor hinaus ist, betont er im Gespräch immer wieder. „Sie eignet sich sehr gut, um mit Menschen zu kommunizieren und ihnen in die Seele zu schauen. Musik ist wie eine besondere Sprache, mit der man verstehen kann, was die Menschen fühlen, wollen und brauchen.“ Er spürt, dass er damit die Zuhörerinnen und Zuhörer berühren kann. Ihm selbst habe das Geigenspiel auch in Syrien sehr geholfen, schwierige Zeiten zu überstehen.
Weiterhin auf Wohnungssuche
Ahed gefiel es in Luxemburg von Beginn an richtig gut. „Hier gibt es viele Kulturen, viele Nationalitäten, auch die Bildung ist gesichert“, so Ahed. Mittlerweile habe er eine Aufenthaltsgenehmigung für fünf Jahre erhalten, kann somit auch einer geregelten Tätigkeit nachgehen.
Derzeit teilt er sich ein Zimmer mit zwei weiteren Männern in einer Aufnahmeeinrichtung in Kirchberg. Die Wohnungssuche sei für ihn nicht einfach, wie er berichtet. Vor allem hätten viele Angst davor, dass ein Musiker Tag und Nacht üben würde, wie er schmunzelnd erklärt. „Dabei hat er sogar einen Dämpfer für die Geige“, wirft seine Begleiterin Marijane ein und lässt durchblicken, dass die derzeitige Wohnsituation für ihren Schützling nicht die einfachste sei.
Ahed selbst würde sich vermutlich nicht beschweren, wie man aus ihren Worten heraushört: „Er ist höflich, ein Gentleman, sehr intelligent und auch sehr witzig.“ Nur einmal klingt ein wenig Kritik in seinen Worten durch: an den Themen und kleinen Dingen, die manche in Luxemburg als problematisch empfinden. „Vielleicht ist es, weil ich die schlimmen Zustände in Syrien miterlebt habe, aber manchmal kommt mir das doch etwas lächerlich vor.“
Seiner Familie, berichtet Ahed abschließend, gehe es angesichts der derzeitigen Unsicherheit in Syrien den Umständen entsprechend. Es sei aufgrund von Verbindungsproblemen schwer gewesen, in den vergangenen Tagen Kontakt zu halten, teilweise habe es große Probleme mit der Stromversorgung in seinem syrischen Heimatort gegeben. „Man kann nicht sagen, dass es ihnen gut geht: Keiner weiß so recht, wie es im Moment weitergeht.“ Es gäbe derzeit weder eine Regierung, noch ein funktionierendes Rechtssystem. „Aber wir hoffen, dass alles wieder in Ordnung kommt.“
Zum Schluss gibt er den Leserinnen und Lesern noch eine Bitte mit auf den Weg. „Ich rate allen, niemand anderem wehzutun und niemanden rassistisch zu behandeln – egal aus welcher Kultur man stammt, welche Hautfarbe man hat und woher man kommt.“ Außerdem solle man Frieden und auch Geduld bewahren. Und die Musik, die solle man ebenfalls ins Herz schließen. Sie hat dem jungen Mann, der auf abenteuerliche Weise durch halb Europa nach Luxemburg gekommen ist, schon häufig in Krisenzeiten Hoffnung geschenkt.