In der Hölle von Moria

Tausende Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos sind ohne Hoffnung

Lesbos. Flüchtlingskrise 2015. Tausende Flüchtlinge kamen damals täglich auf der griechischen Insel an, mit Booten aus der Türkei. Nur zehn Kilometer trennen die Insel von der türkischen Küste. Heute kommen noch 100 bis 200 pro Woche, fernab jeglicher medialen Aufmerksamkeit. Seit die Balkangrenzen 2016 geschlossen wurden und die EU einen Deal mit der Türkei abgeschlossen hat, der die Flüchtlingsströme kanalisiert und bremst, ist es ruhig geworden um die Flüchtlinge auf den griechischen Inseln. Die meisten Migranten leben im Moria-Camp auf der Insel Lesbos. Zeitweise waren hier bis 9 000 Menschen untergebracht, dabei ist das Lager nur für knapp 3 000 Personen ausgelegt. Die Bedingungen waren katastrophal und sind auch heute nicht viel besser. Erzbischof Jean-Claude Hollerich hat die Menschen im Camp und Hilfsorganisationen besucht. Das „Luxemburger Wort“ hat ihn bei der Visite begleitet. mig/ctof

Luxemburger Wort 15. Mai 2019

Leitartikel Luxemburger Wort17. Mai 2019

Warten … auf nichts

Von Michèle Gantenbein

Der alte Mann sitzt regungslos hinter der Theke in seinem kleinen Lebensmittelladen am Hafen von Mytilini. „Warum kommt dein Land nicht und nimmt welche mit?“, sagt er. Mit „welche“ meint er Flüchtlinge. Tausende sitzen auf Lesbos und auf anderen griechischen Inseln fest, wie in einer Transitzone, in der man auf ein Flugzeug wartet, das nicht kommt. Selbst anerkannte Flüchtlinge werden nicht aufs Festland gebracht, weil man Angst hat, dass das „Leermachen“ der Inseln den Menschenstrom aus der Türkei wieder anheizen könnte. Die Situation belastet die Schutzsuchenden – und die Einheimischen, die aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation Griechenlands doppelt „bestraft“ sind. Europa schaut derweil weg.

In den Geschichtsbüchern wird später stehen, welch klägliche Figur Europa im Umgang mit der Flüchtlingsfrage abgegeben hat. Dass 28 Staaten mit über 500 Millionen Einwohnern nicht in der Lage waren, sich auf einen Verteilungsschlüssel zu einigen, sodass jeder ein bisschen und niemand zu viel Last zu tragen hat. Dass die EU ihre Außengrenzen dichtgemacht und sich auf einen milliardenschweren Deal mit der Türkei eingelassen hat – einem autoritären Land, das die EU auf keinen Fall in ihrem Club haben will, weil es sich nicht um demokratische Werte und Menschenrechte schert; dem Europa aber Millionen von Flüchtlingen überlässt, um sie sich vom Hals zu halten. In den Büchern wird auch stehen, dass die NATO-Staaten – darunter auch EU-Länder – das Flüchtlingselend mitzuverantworten haben, weil sie an Kriegen in Syrien, Libyen, Irak und Afghanistan direkt oder indirekt beteiligt waren.

„Wir müssen unseren Grenzschutz so organisieren, dass die reinkommen, die aufgrund der Engagements, die wir gegenüber jenen eingegangen sind, die vor Krieg, Folter und Vergewaltigung flüchten, aufgenommen werden können“, sagt Charel Goerens in einem DP-Wahlwerbevideo. Ja. Aber Europa will die Flüchtlinge nicht. Weil es Angst vor Überfremdung und Terrorismus hat. Europa nutzt nicht die Chance, die eine geordnete Zuwanderung haben kann, wenn jedes Land seinen Teil der Verantwortung trägt. Die Angst vor Terror darf kein Vorwand sein, um keine Flüchtlinge aufzunehmen. Europa verfügt über Mittel, Menschen mit bösen Absichten abzuwehren. Der überwiegende Teil der Schutzsuchenden will nur eines: einen Ort finden, an dem sie in Frieden leben können.

Für die Menschen, die auf der Flucht in eine ungewisse Zukunft ihr Leben riskieren und dafür oft ihre ganzen Ersparnisse aufbringen, ist Europa der Inbegriff von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und Schutz. Die europäischen Staaten selbst sind stolz auf das, was nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Kontinent geschaffen wurde, stolz auf ihre Werte …, die sie predigen, aber nicht leben.

Und während Europa sich fürchtet, streitet und in der Flüchtlingsfrage vermutlich auch nach den EU-Wahlen keinen Millimeter weiterkommen wird, verharren Tausende Vertriebene unter menschenunwürdigen Bedingungen in überfüllten Lagern und warten. Auf nichts.