Interkulturelles Zusammenleben
Was die Integration von Geflüchteten lähmt
Luxemburger Wort 13.Januar 2024. Irina Figut
Sprache, Arbeit oder Wohnung: Migranten müssen viele Hürden für ihre Integration überwinden. Hilfswerke rufen zum Umdenken auf. Ein neues Gesetz könnte helfen.
Das Wort ist zu einem politischen Dauerbrenner geworden. Integration: Was ist für eine erfolgreiche Eingliederung von Personen nötig, die vor Krieg, Verfolgung und der instabilen Lage nach Luxemburg fliehen?
In Luxemburg bemühen sich verschiedene Organisationen und Hilfswerke um eine bessere Integration von geflüchteten Personen in den Gemeinden und fordern die politisch Verantwortlichen zum proaktiven Handeln auf. Seit Jahresbeginn ist zudem ein neues Gesetz für das interkulturelle Zusammenleben in Kraft, das ein besseres Verständnis und die Akzeptanz von verschiedenen Nationalitäten in den Kommunen fördern soll.
Roberto Marta, Projektkoordinator bei der asbl. „Coopération Nord-Sud“, sieht den Zugang zum Arbeitsmarkt als eine der größten Hürden für Asylsuchende in Luxemburg. Die NGO hatte er 2011 gegründet, mit dem Ziel, die Ausbildung für verdrängte und benachteiligte Gemeinschaften zu verbessern. Neben verschiedenen Kooperationsprojekten südlich der Sahara in Afrika unterstützt die Vereinigung Flüchtlinge in Luxemburg.
Neues Netzwerk für berufliche Eingliederung
Mit dem Projekt „Chrysalis“, das seit Neustem Geflüchteten, darunter auch Minderjährigen, hilft, will die NGO deren mentale Gesundheit verbessern. Denn: Viele leiden an Depressionen. Geflüchtete, die in Betreuungsstrukturen in den Gemeinden wohnen, seien häufig isoliert und nähmen kaum am Gemeindeleben teil, erzählt Projektverantwortliche Simona Palladino. Auch betreut die NGO Geflüchtete direkt in den Unterkünften. „Viele müssen länger in den Aufnahmestrukturen bleiben, weil sie keine Wohnung in den Gemeinden finden, auch wenn sie bereits eine Arbeit haben. Es müssen mehr kommunale Unterkünfte her“, fordert Roberto Marta.
Die Asbl ruft zum Umdenken auf der Gemeindeebene auf. Zwar gebe es einige Initiativen zur Vermittlung von Wohnraum wie „Oppent Haus“, allgemein mangele es jedoch an „Kreativität, um daraus eine Win-win-Situation für alle Beteiligten zu machen.“ Der Verein sensibilisiert ebenfalls Unternehmen, um Schutzsuchenden ein Praktikum oder eine Lehre anzubieten. „Das Weiterbildungsangebot ist breit, jedoch mangelt es häufig an Kommunikation zwischen den Unternehmen, die Fachkräfte suchen, und den Menschen, die die Fortbildung in Anspruch nehmen könnten“, konstatiert Roberto Marta.
Seit dem Beginn dieses Jahres hat die NGO zusammen mit den anderen Hilfsorganisationen ein Netzwerk ins Leben gerufen, das die berufliche Integration von Geflüchteten verbessern soll. APES (Accompagnement personnalisé pour l‘Emploi dans les Structures d‘accueil) heißt die Initiative und wird vom Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) sowie dem Familienministerium finanziert. Die Neuheit besteht darin, dass sich die Maßnahme nicht nur an die Personen mit anerkanntem Schutzstatus, sondern auch an Asylsuchende richtet.
Agnès Rausch: „Staatsgesetz soll zu mehr Mietwohungen verpflichten“
„Diejenigen, die eine Arbeit haben, haben es mit der Integration leichter“, weiß ebenfalls Agnès Rausch, die Vorsitzende des jesuitischen Hilfswerks JRS in Luxemburg. Die Organisation ist Teil des Netzwerkes, das sich weltweit für die Belange von Migranten einsetzt, und begleitet rund 450 Geflüchtete in Luxemburg pro Jahr.
„Insbesondere für junge Asylsuchende ist es oft schwer, einen Job zu finden“, sagt Rausch. Neben beruflichen und sprachlichen Barrieren kommen der Geldmangel und die Wohnungsnot hinzu. Zudem habe das geänderte Einbürgerungsgesetz dafür gesorgt, dass der Job nicht mehr berücksichtigt werde. „Für einen luxemburgischen Pass müssen nicht nur die Sprachkenntnisse Voraussetzung sein, sondern auch eine Arbeit und das Engagement in einem Verein“, fordert sie
Mit Blick auf Wohnungsmangel sieht die Expertin, die lange Jahre die Flüchtlingsarbeit bei der Caritas geleitet hatte, die Lösung in einem gerechteren Verteilungsschlüssel für die Kommunen. Dies sei laut Rausch nur durch ein entsprechendes Staatsgesetz möglich, das „die Gemeinden verpflichtet, je nach Einwohnerzahl und vorhandenen Arbeitsmöglichkeiten, Unterkünfte zur Verfügung zu stellen.“
Besseres Zusammenleben als Abhilfe
Die Aufnahme von Flüchtlingen in Gemeinden hänge sehr eng mit der allgemeinen Wohnungsnot im Land zusammen, bestätigt ebenfalls Philippe Eschenauer von der Asti asbl. Bei der Ausländervereinigung gehört er einem Team an, das die Gemeinden bei Projekten und Aktivitäten im Bereich des interkulturellen Zusammenlebens berät und begleitet. „Oft zögern die Gemeinden, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, um sich nicht vorwerfen zu lassen, mehr für Migranten zu tun als für andere Bedürftige“, meint Eschenauer
Das neue Gesetz zum interkulturellen Zusammenleben (siehe Infobox) könne hier Abhilfe schaffen. Dadurch würden Möglichkeiten entstehen, die das Verständnis und die Akzeptanz bei den Einwohnern positiv beeinflussen. Allerdings brauche es noch „viel Überzeugungsarbeit und einen langen Atem“, meint Eschenauer.
ONA: für Integration der Asylbewerber nicht „zuständig“
Das Office national de l‘accueil (ONA) sieht sich hingegen für Asylsuchende weniger zuständig. „Die Integration der Asylbewerber liegt nicht im Aufgabenbereich des nationalen Aufnahmeamts“, sagt Sprecherin Chloé Weydert. „Erst wenn die Person den internationalen Schutzstatus erhalten hat, spricht man vom umfangreicheren Konzept der Integration.“ In den Unterkunftsstrukturen des ONA bekommen Asylsuchende laut Weydert dennoch „eine körperliche und geistige Unterstützung.“
Gesetz zum interkulturellen Zusammenleben
Seit dem 1. Januar ist in Luxemburg ein neues Gesetz für das interkulturelle Zusammenleben in Kraft, das ein anderes Verständnis des Prozesses Integration widerspiegeln soll. Laut Anne Daems, Leiterin der Division du vivre ensemble beim Familienministerium, beinhaltet das Gesetz eine umfassende Überarbeitung der Instrumente des interkulturellen Zusammenlebens. „Neu ist, dass nun Programme möglich sind, die nicht nur auf Ausländer beschränkt sind, sondern auch Leute ansprechen, die bereits die luxemburgische Nationalität besitzen.“
Das bessere Zusammenleben wird durch vier Instrumente erzielt: der nationale Aktionsplan, der Bürgerpakt, das Programm zum Zusammenleben und der „pacte communal“. Sie alle haben zum Ziel, das moralische Engagement der Gemeinde gegenüber verschiedenen Nationalitäten zu steigern und die Beteiligung von Menschen selbst an der Integration zu verbessern. Mehr Informationen dazu gibt es auf dem Portail fir Zesummeliewen im Internet.