Keine Papiere, kein Schutz

Die Situation der „sans-papiers“

Die Corona-Krise hat eine Bevölkerungsschicht, der schon normalerweise nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, noch weiter ins Abseits gestellt. Die Rede ist von den „sans-papiers“. Ohne Papiere fällt man bei Problemen durch das soziale Netz, das zugegebenermaßen in Luxemburg gut, aber eben auch nicht perfekt ist. In den meisten Fällen arbeiten Menschen ohne Papiere im Billiglohnsektor, sprich auf dem Bau, im Gaststätten- oder Reinigungsbereich. Bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Betriebs sind sie die Ersten, die ihre Arbeit verlieren. Corona ist auch für sie mehr als ein Gesundheitsproblem.
Das Gesundheitsministerium hat zwar alle Menschen – auch solche ohne Papiere und ohne Sozialversicherung – aufgerufen, sich testen zu lassen. Dass viele allerdings ganz einfach Angst haben, sich testen zu lassen, scheint nicht bedacht worden zu sein, denn werden sie positiv getestet, laufen sie Gefahr, ihre Arbeit zu verlieren. Hinzu kommt die Angst, durch einen Test von den Behörden entdeckt zu werden.
Der Staat hat die moralische Pflicht, auch ihnen zu helfen, alleine schon weil der Niedriglohnsektor, in dem sie arbeiten, doch irgendwie geduldet ist. Von humanen Gründen einmal abgesehen, sind es aber auch gesundheitspolitische Überlegungen, die die Regierung dazu bewegen sollten, der Problematik mehr Aufmerksamkeit zu schenken. „Papierlose“ können maßgeblich – im negativen Sinne – die öffentliche Gesundheit beeinflussen. Die Lebensbedingungen der Menschen, die für weniger als den Mindestlohn und ohne Rechtssicherheit arbeiten, sind meistens schlecht: Sie leben in Wohngemeinschaften, mehrere Personen auf engstem Raum, also ideale Krankheitsherde, wie etliche Beispiele aus dem Ausland zeigen. Das Problem der „sans-papiers“ ist nun auch eine Frage der öffentlichen Gesundheit. Sollten sie positiv auf Covid-19 getestet werden, kommt ein weiteres hinzu, wie die ASTI kürzlich in einer Pressemitteilung monierte: Orte, wohin solche Leute in Quarantäne gebracht werden können, seien nicht vorgesehen. Eine Lösung könne sein, wie die ASTI der Regierung vorschlägt, mit Hotels zusammenzuarbeiten, denen es ohnehin an Gästen mangelt.
Bei Arbeitsverlust stünden „sans-papiers“ mittellos da, wären nicht Organisationen wie die ASTI oder Caritas eingesprungen und hätten die soziale Verantwortung übernommen. Die ASTI zum Beispiel hat an 253 Familien und Einzelpersonen Essensgutscheine im Wert von rund 36.000 Euro verteilt. Auch die Caritas half Bedürftigen unabhängig von deren Rechtsstatus und machte Ausnahmen, was den Zugang zu den „Caritas-Butteker“ betrifft, für die man normalerweise eine „Überweisung“ eines Sozialamts benötigt.
Die populistische Antwort auf die Frage „Was tun mit den Papierlosen?“ lautet: „Schickt sie nach Hause!“ Abgesehen davon, dass das menschlich keine Option ist, wäre es auch völlig zwecklos. Wie auf jedem Markt bestimmt die Nachfrage das Angebot. Schicken wir jene nach Hause, kommen andere.
Nötig ist wieder einmal eine Regularisierung der „sans-papiers“, wie es 2013 und 2001 der Fall war. Es wäre allerdings nur eine temporäre Lösung, denn ohne weitere Maßnahmen werden wir in einigen Jahren wieder mit dem Problem konfrontiert sein. Eine stärkere staatliche Kontrolle der betroffenen Bereiche ist ebenso vonnöten wie eine Immigrationspolitik, die mehr ist als bloße Repression der illegalen Einwanderung.

Editorial tageblatt  4. August 2020