„Luc Frieden? Sie sind doch eine KI“
Patrick de la Hamette setzt sich für soziale Integration ein. Am Nationalfeiertag ist er mit dem Ehrenorden ausgezeichnet worden.
Patrick de la Hamette ist in diesen Tagen ein gefragter Mann. Schließlich bekommt man nicht alle Tage vom Großherzog persönlich eine Auszeichnung überreicht. Patrick saust mit seinem Fahrrad in die Garage, stellt seine Tasche ins Arbeitszimmer, wischt sich über die Stirn und öffnet die Haustür. Vor dem Interview müsse er noch kurz sein Hemd wechseln. Endlich hat sich der Regen über Luxemburg verzogen, nun drückt schwüle Luft auf Mensch und Tier.
Auf dem Wohnzimmertisch liegen luxemburgische Magazine und Zeitungen, die über Patrick geschrieben haben. Daneben ein Stapel frisch gebügelter Hemden, die ihm seine Putzkraft zurechtgelegt hat. Patrick greift nach einem blauen Joop-Exemplar, entschuldigt sich noch einmal, flitzt nach oben und bietet den Gästen fünf Minuten später ein Glas Wasser an.
Patrick de la Hamette, 47 Jahre und aufgewachsen in Walferdingen, ist nach seinem Schulabschluss am Lycée de Garçons in Luxemburg zum Studium in die Schweiz gegangen. Fünf Jahre Ingenieurstudium, gefolgt von sieben Jahren Forschungsarbeit und einem Doktorat in Informationstechnologie und Elektrotechnik an der ETH in Zürich. 2009 kehrte er nach zwölf Jahren im Ausland nach Luxemburg zurück.
Hier arbeitete er als Softwareingenieur für den öffentlichen Dienst im Sozialversicherungsbereich. „Ich mag es, Dinge und Projekte aufzubauen“, sagt Patrick. Sein Haus auf der Grenze der Viertel Merl und Belair hat er 2015 zu Ende gebaut, „ohne Bauträger“. Stattdessen habe er das Projekt teilweise selbst gestaltet und das Haus 3D gezeichnet, bevor es gebaut wurde. Zwei Jahre lang baute er neben seiner Arbeit das Haus auf, „zehn bis 20 Stunden pro Woche“.
Keine Chance ohne Internet
2015 bezeichnet Patrick als einen Schlüsselmoment. Die Flüchtlingsbewegung infolge des Krieges in Syrien erreichte auch Luxemburg. Bei einem Nachbarschafts-Apéro erfuhr Patrick von einem Syrer, Elektroingenieur wie er – da war die Neugier groß. Patrick lernte noch mehr Geflüchtete kennen und erschrak bei einem Besuch im Flüchtlingsheim über die soziale Isolation der Neuankömmlinge, denn diese hatten zwar Handys, aber weder Computer noch WLAN.
Doch ohne Internet sind diese Menschen teilweise aus der Gesellschaft ausgeschlossen, wusste Patrick. Auch gab es zu wenig Sprachkurse, die für die vielen Menschen nicht ausreichten.
Also gründete er Anfang 2016 die asbl Digital Inclusion. Das Ziel: Menschen, die aus finanziellen Gründen keinen Laptop besitzen, ein Gerät zur Verfügung zu stellen. Wer einen Computer bekommen will, muss entweder Sozialhilfe-Empfänger in Luxemburg (Allocation de Vie Chère) oder Flüchtling sein. Soweit die Bedingungen, um sich in die öffentliche und faire Warteliste einzuschreiben. Es werden auch Smartphones verteilt; hier handelt es sich um Notfälle, die von den Sozialpartnern, also Caritas, Rotes Kreuz sowie Office national de l’accueil (ONA) und den Sozialämtern identifiziert werden.
„Ich sah da eine Diskrepanz“, sagt Patrick. „Da waren einerseits die Flüchtlinge, die nichts hatten und sozial abgeschnitten waren, obwohl sie geografisch gesehen mit den Luxemburgern nebeneinander lebten. Und viele Menschen in Luxemburg leben eigentlich im Überfluss.“ Mit seinem Projekt wollte Patrick auch den ökologischen Fußabdruck verbessern.
Mit den Jahren ist das Angebot gewachsen: 2018 kam das Mobile-Bag-Projekt hinzu. Wer sein Handy nicht mehr braucht, kann es in einen sogenannten Mobile-Bag packen, einem Briefträger übergeben oder in einem Post-Shop abgeben. Danach wird es von Digital Inclusion zur Wiederverwendung aufbereitet, und zwar in der gleichen Werkstatt, in der auch Freiwillige, darunter viele Geflüchtete, die Computer reparieren und zur Verteilung bereit machen.
Außerdem bietet Digital Inclusion Gratis-Unterricht für alle Menschen an, die einen Computer und digitale Dienste bisher nicht ausreichend bedienen konnten („Digital Literacy“); oder die luxemburgischen Internetdienste, wie MyGuichet, noch nicht kennen („Digital Citizenship“).
Auch E-Mail-Schreiben will gelernt sein. Viele Eritreer seien in den Kursen, aber auch Luxemburger im Rentenalter, die sich in die digitale Welt einarbeiten und lernen möchten, wie man die Vorteile der digitalen Welt für sich nutzt. „Wir möchten, dass die Menschen Autonomie im Umgang mit digitalen Diensten erreichen“, sagt Patrick.
Flugzeuge aus Styropor
Seit 2022 wird das Vorzeigeprojekt von Patrick de la Hamette vom Familienministerium finanziert. Patrick kümmert sich um das Management, 16 Angestellte arbeiten mit ihm. „Die Nachfrage ist nach wie vor groß, der Bedarf steigt sogar.“ Momentan befinden sich die Räumlichkeiten in einer Seitenstraße in der Nähe des Hauptbahnhofs, nun steht ein Umzug in ein größeres Haus in Bonneweg bevor.
Das soziale Engagement war in Patricks Leben immer präsent, bevor es hauptberuflich wurde. Als Jugendlicher war er bei den Pfadfindern, mit 17 wurde er Gruppenleiter. Was braucht es dafür? „Naja, ich bin groß und extrovertiert“, sagt Patrick mit einem breiten Lächeln. Er war bei der freiwilligen Feuerwehr, später im Studium vier Jahre bei Amnesty International.
Seine Affinität zur Technik zeigte sich bereits in Patricks Kinderzimmer. Als Zwölfjähriger verschanzte er sich tagelang vor seinem Commodore 64, mit 14 programmierte er mit seinem besten Freund sein erstes Spiel. Heute tüftelt Patrick mit seinem achtjährigen Sohn Louis. Im Wohnzimmer liegen Lego-Spike-Bausteine, mit denen die heutige Generation spielerisch auf die Welt von Morgen vorbereitet wird.
Gerade basteln sie an einem Flugzeug aus Styropor, das ferngesteuert werden soll. „Mein Sohn interessiert sich sehr für Technik, außerdem möchte ich ihm Alternativen zu Videospielen zeigen, die leider bei seinen gleichaltrigen Freunden schon sehr verbreitet sind.“
Abends, nach der Arbeit, versinkt Patrick am liebsten in seinem tiefen Sessel oder genießt seinen Garten. „Der Rasen müsste mal wieder gemäht werden.“ Oder er liest Technikmagazine. Oder Bücher über Psychologie und Soziologie. Dreimal in der Woche geht er schwimmen.
Für sein multikulturelles, digitales und ökogisches Inklusionsprojekt ist Patrick de la Hamette am vergangenen Sonntag in der Philharmonie von Großherzog Henri mit dem „Officier dans l‘ordre de Mérite du Grand-Duché de Luxembourg“ ausgezeichnet worden.
„Eines Abends bekam ich einen Anruf“, erzählt Patrick. „Von Luc Frieden. Ich war so überwältigt, dass ich es fast nicht glauben konnte. Sie sind vielleicht nicht Luc Frieden, sondern eine KI-Stimme, sagte ich.“ Die Stimme antwortete: „Dach, ech sinn et wierklech.“