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Die ewige Sehnsucht nach Sicherheit

Vor fünf Jahren kam die Ingenieurin Lamia Alaubaidi mit ihrem Sohn Ali aus dem Irak nach Luxemburg. Viel ist seitdem passiert: Der Umzug vom Heim in die eigene Wohnung. Ein abgeschlossenes Studium. Neue Sprachen. Doch ein eigenständiges Leben ohne Angst ist für sie bis heute weit entfernt.

Lamia Alaubaidi steht in ihrer Küche und kocht Tee. Die türkische Doppelteekanne mit rosa-goldenen Blumenmustern hat ihr ein Freund aus Istanbul mitgebracht. Mit einer beiläufigen Handbewegung gießt sie den Tee in die schlichten Gläschen. Entgegen der arabischen Tradition trinkt Lamia ihren völlig ohne Zucker.

Mehrmals entschuldigt sie sich, dass sie nichts zu Essen anbieten kann. Sie hat es nicht mehr in den Supermarkt geschafft. Es war eine anstrengende Woche, sagt Lamia. Seit Monaten schon fühle sie sich müde und ausgelaugt. Sie war bei verschiedenen Ärzten, beim Radiologen, beim Kardiologen, hat Analysen und Scans über sich ergehen lassen. Doch die Ärzte finden nicht heraus, was ihr fehlt. Sie spricht von ihrem Sohn, Ali, er hat doch nur noch sie.

Kindertraumata, Kriegs- und Fluchterlebnisse, Gewalt im Flüchtlingsheim, Zukunftsangst, jetzt die Krankheit. Sich wirklich frei und sicher zu fühlen, ist für Lamia noch immer keine Selbstverständlichkeit. Über dem Sofa hängt ein Bild mit der Aufschrift „Stop wishing, start doing!“. Es ist einer dieser am Fließband hergestellten Kunstdrucke, die einem vorgaukeln, dass doch jeder Herr seines eigenen Schicksals sei. Doch wie schwer es tatsächlich ist, einen Rückschlag nach dem anderen zu erleben und sich dennoch immer wieder neu zu motivieren, das weiß Lamia besser.

Ein Leben in Krieg und Terror

Im kriegsgebeutelten Bagdad hat sie Englisch und Ingenieurswesen studiert, sich als Frau in einem Männerberuf behauptet. Sie hat geheiratet und wurde schwanger. Später wurde sie von Terrormilizen bedroht und gedemütigt. Sie musste die Entführung ihres Mannes miterleben, seine Rückkehr von Folter und Erniedrigung ertragen. Mit ihm ist sie schließlich nach Istanbul geflohen, zurückgekehrt ist sie alleine. 2010 ist Lamia in den vermeintlich sichereren Norden des Irak umgezogen. Sie hat Kurdisch gelernt, immer viel gearbeitet und sich schließlich scheiden lassen. Angst vor Gewalt und Terror waren ihr stetiger Begleiter. Noch heute zuckt sie zusammen, wenn sie im Fernsehen Explosionen hört.

Lamia war noch ein kleines Mädchen, als 1980 der erste Golfkrieg begann. Die irakische Armee hatte das Haus, in dem sie mit ihren Eltern wohnte, in ein Krankenhaus umgewandelt. Menschen starben in ihrem Wohnzimmer, erzählt sie. Als das Haus 1986 zerbombt wurde, verlässt sie gemeinsam mit ihren Eltern ihre Heimatstadt Basra im Süden des Irak, unweit der iranischen Grenze. Zwei Kriege später und angesichts dauerhafter Terrorgefahr beschließt sie, ihre Heimat zu verlassen.

Luxemburg: ein klares Ziel vor Augen

Als Lamia mit ihrem Sohn Ali im August 2015 am Bahnhof in Luxemburg ankommt, regnet es. Die dunklen Wolken hängen tief, es ist kalt. Das Wetter passte zu ihrer Stimmung, erzählt die heute Mitte-Vierzig-Jährige. Die letzten Wochen der Flucht steckten den beiden noch tief in den Knochen. „Es ist ein Wunder, wie ein Kind sich unsichtbar machen kann, wenn Gefahr lauert“, sagt Lamia.

Die Irakerin Lamia Alaubaidi kam im Sommer 2015 mit ihrem Sohn Ali nach Luxemburg.

Irgendwann wird sie ihre Fluchterfahrungen aufschreiben dachte sie sich damals. Irgendwann, wenn ihr Leben etwas ruhiger verläuft. Doch jetzt musste sie erst einmal ankommen. Sich und ihrem Sohn ein neues Leben aufbauen. Um dem Gefühl von Sicherheit, das sie in ihrem Leben nur selten kannte, schrittweise näherzukommen.

Deswegen hat sie gezielt Luxemburg ausgewählt. Wegen der Sicherheit. Luxemburg sei kein Land, das andere Länder angreift, kein Land, das unschuldige Menschen umbringt, Luxemburg habe selbst wegen der Kriege anderer viel ertragen müssen, erzählt sie. Sie hat Bücher gelesen, kennt die Geschichte des kleinen Landes. Dass ein Neuanfang auch hier nicht leicht werden würde, darauf war sie eingestellt. Doch dass sie in den ersten zwei Jahren in Luxemburg so stark an ihre Grenzen stoßen würde, konnte sie sich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vorstellen.

Leiden im Flüchtlingsheim

Nach mehreren Monaten im Flüchtlingsheim Lily Unden in Limpertsberg wurden sie und ihr Sohn nach Redingen gebracht. Sie kamen in das Flüchtlingsheim Félix Schroeder, das ausschließlich Frauen und Kindern vorbehalten ist. „Es war furchtbar“, erinnert Lamia. Alt und klein sei das Zimmer gewesen, es gab Platz für nur ein Bett.

Doch es waren vor allem die strengen Hausregeln, die oft gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Bewohnerinnen und das Verhalten des Sicherheitspersonals, das Lamia und ihrem Sohn zusetzten. „Sie behandelten uns wie Gefangene, Ali durfte sich abends nicht draußen aufhalten, obwohl er im Zimmer kein Internet hatte. Und ich musste die ganze Zeit putzen. Sie schauten zu, wie ich den Boden schrubbte. Oft habe ich deswegen morgens den Bus zur Sprachschule verpasst“, erzählt Lamia.

Sie mussten da raus. Lamia und Ali sind ungerecht behandelt worden.“Manou Pianon, Sozialarbeiterin

Das Rote Kreuz, das das Flüchtlingsheim in Redingen führt, weist Vorwürfe gegen das Verhalten des Sicherheitspersonals zurück. „Wir haben gute Erfahrungen mit dem in Redingen tätigen Sicherheitsunternehmen“, heißt es aus der Direktionsabteilung der Hilfsorganisation. Auch die Leiterin des Flüchtlingsheims, Klodiana Calliku, schreibt auf Nachfrage: „Uns sind keine Gewaltsituationen im Kontext mit Lamias Aufenthalt bekannt.“ Die Beziehungen zwischen – in diesem Foyer ausschließlich weiblichem – Sicherheitspersonal und Einwohnern seien im Allgemeinen respektvoll. Sollten sich dennoch einmal Spannungen entwickeln, würden Führungskräfte eingreifen und die Situation im Dialog lösen.

Hoher Preis für das ersehnte eigene Heim

„Sie mussten da raus“, sagt hingegen Manou Pianon. „Lamia ist ungerecht behandelt worden, die Geschichten von aufgezwungenem Putzen erzählte sie mir oft“, erinnert sich die Sozialarbeiterin, die sich damals um Lamia und ihren Sohn kümmerte, mittlerweile jedoch nicht mehr für das Rote Kreuz arbeitet. Sie habe damals sogar den Ombudsmann für Kinderrechte eingeschaltet. Doch selbst mit psychologischem Gutachten sei nichts passiert.

Wenn Manou Pianon von Lamia spricht, ist sie voller Bewunderung, beschreibt sie als stark und mutig, als eine, die sich nichts bieten lässt. Gut ausgebildet, belesen, charakterstark. Und alleinerziehend. Lamia habe sich immer furchtbar aufgeregt über die Stolpersteine, die ihr in den Weg gelegt wurden. Bei der Suche nach Arbeit, auf dem Wohnungsmarkt oder beim Kämpfen um einen Platz im Hort für Ali. „Am Telefon hat sie mich auch mal angeschrien, und dann, als wir uns sahen, haben wir uns in den Arm genommen und Lamia hat sich entschuldigt“, erzählt die Sozialarbeiterin.

Letztlich war es Manou Pianon selbst, die eine Alternative für Lamia und ihren Sohn fand. Sie setzte sich dafür ein, dass das Rote Kreuz für Lamia eine Mietbürgschaft ausstellte und fand auf dem privaten Wohnungsmarkt eine kleine Einzimmerwohnung in Esch/Alzette. Das Datum wird Lamia nie vergessen: Am 7. Juli 2017 zog sie mit ihrem Sohn ins Minett, wo sie auch heute noch leben. Die Miete sei mit 1.200 Euro im Monat zwar eigentlich zu hoch, doch endlich konnte „das Leben beginnen“, wie Lamia sagt.

Bildung muss man sich leisten können

Simone Harion kann sich noch gut an ihr erstes Treffen mit Lamia erinnern. Mit kritischer Haltung stand sie in ihrem Büro, fragte, was „Zarabina asbl“ ihr denn bieten könne. Denn sie habe keine Zeit mehr zu verlieren. Heute ist Lamia dem Verein, der Menschen durch Beratungen und Weiterbildungen hilft, sich auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren, sehr dankbar. Sie nahm an dem Workshop „Work Integration Luxembourg“ teil und kam mit einem Aktionsplan heraus, den sie gemeinsam erarbeitet hatten.

Die irakische Hauptstadt Bagdad im Jahre 2018: An ihre Heimat erinnert sich Lamia Alaubaidi als „unsicheres und ungerechtes Land“. (Foto: Rasoul Ali / Shutterstock.com)

Lamia wusste, dass sie noch einmal studieren möchte und schrieb sich für den Master-Studiengang „Entrepreneurship and Innovation“ an der Universität Luxemburg ein. Nach den geltenden Gesetzen verlieren Flüchtlinge, die sich an der Universität anmelden, ihr Recht auf das „Einkommen zur sozialen Eingliederung (REVIS)“ von knapp 1.500 Euro monatlich, samt der daraus resultierenden sozialen Leistungen wie Wohngeld oder Krankenversicherung. Als Studierender stand Lamia nur noch eine staatliche Studienbeihilfe in Höhe von 600 Euro monatlich zur Verfügung. Trotz Nebenjob im Marketing an der Uni reichte das Geld hinten und vorne nicht.

Mäzenatentum und Unterstützung

Es war schließlich der „Lions Club Esch“, der Lamia die zwei Jahre lang half, finanziell über die Runden zu kommen. Sie erhielt ein Stipendium, das der Unternehmer-Club jedes Jahr an vier Geflüchtete vergibt. „Die Idee und das Geld kommen von uns, die Auswahl trifft aber die Universität“, sagt Alex Bernard vom Lions Club. Hier gehe es schließlich nicht um persönliche Präferenzen. Lamia als alleinerziehende Mutter habe die Unterstützung mehr als verdient. „Unser Geld kommt da an, wo es wirklich gebraucht wird“, sagt Alex Bernard.

Sie hat immer 150 Prozent gegeben. Ich ziehe meinen Hut vor ihr.“Mickael Geraudel, Dozent an der Uni Luxemburg

Lamia ist anzumerken, dass ihr die finanzielle Abhängigkeit unangenehm ist. Sie nahm das Geld trotzdem und stürzte sich in ihr Studium. Irgendwann wird sie selbstständig sein und die Hilfe anderer nicht mehr brauchen. Das sagt sie sich immer wieder.

„Sie hat immer 150 Prozent gegeben“, erzählt auch Mickael Geraudel, Lehrstuhlinhaber des Studiengangs. „Ich ziehe meinen Hut vor ihr“, sagt der Professor, der seine Studierenden gut zu kennen scheint. Lamia habe sich immer in einer Ausnahmesituation befunden, als Geflüchtete, dazu noch alleinerziehend. Manchmal sei es schwierig gewesen, sie habe sich alles sehr zu Herzen genommen. „Als sie einmal ein Examen im Finanzwesen nicht auf Anhieb packte, war sie am Boden zerstört“, erinnert sich Mickael Geraudel. „Es hat viel Zeit und Mühe gekostet, sie wieder aufzubauen.“

Ein Studium und eine neue Leidenschaft

Ihre Abschlussarbeit schrieb Lamia über die „Optimierung des öffentlichen Transportes in Luxemburg“. Sie setzt sich auf, ist plötzlich ganz wach und beginnt einen Vortrag über die Gesetzeslage zum Datenschutz in Luxemburg. Über die Schwierigkeiten, in einem kostenlosen Transportsystem dennoch an Daten zu kommen, um das Angebot zu verbessern. Darüber, warum dieser Forschungsbereich zukunftsfähig und lukrativ ist. „Daten sind das neue Öl“, sagt sie und grinst. Das erste Mal seit Beginn des Gesprächs.

Ich habe immer noch Angst, dass man uns hier findet und wir eines Tages zurück müssen.“Lamia Alaubaidi

Daniel Baum ist Stadt- und Regionalplaner bei dem Bauingenieurunternehmen „Schroeder Associés“ in Kockelscheuer. Er hat Lamia während eines sechsmonatigen Praktikums zur Fertigstellung ihrer Abschlussarbeit unterstützt. Sie sei eine Vermittlerin, sagt er. „Sie versteht es, innovative Instrumente der Informatik mit den Herausforderungen der smart mobility zu verbinden“, sagt er. Damit sei sie ihrer Zeit ein kleines Stückchen voraus. Auf die Frage, warum das Unternehmen sie nach Abschluss ihres Studiums nicht übernommen habe, antwortet der Ingenieur: Es gebe leider noch nicht genug Kundenanfragen, ihre Einstellung würde sich für das Unternehmen noch nicht rentieren.

Andauernde Ängste und Hoffnungen

Lamia kann sich durchaus vorstellen, einmal in diesem Bereich zu arbeiten. Sie möchte sich selbstständig machen. Ihr eigenes Unternehmen aufzubauen und von niemanden mehr abzuhängen, davon träumt sie schon lange. Doch die Zeit ist noch nicht reif dafür. „Solange wir Geflüchtete sind, sind wir in Gefahr“, sagt sie und wird plötzlich wieder ganz ernst. „Wir wissen nicht, was die Politik von einem Tag auf den anderen entscheiden wird“, sagt sie. „Ich habe immer noch Angst, dass man uns hier findet und wir eines Tages zurück müssen“.

Die einzige Möglichkeit, um diese Gefahr zu bannen, sieht Lamia in dem Erwerb der luxemburgischen Staatsbürgerschaft. Deshalb besucht sie gerade täglich Luxemburgischkurse, arbeitet an ihrer Aussprache, lernt Vokabeln. Sie muss den Sprachtest bestehen. Aber Luxemburgisch sei so schwierig, sagt die Frau, die Arabisch, Kurdisch, Türkisch, Englisch und Französisch spricht.

Auch ihr Sohn Ali träumt davon, sein eigenes Business aufzubauen. Den Ehrgeiz hat sie ihm bereits weitervermittelt. Ali möchte Computerspiele designen. Noch lieber aber möchte er wegfliegen. Ganz weit weg. Ins Weltall, mit Elon Musk, dem Raketen-Chefdesigner und CEO des Raumfahrtunternehmens SpaceX. „Er ist sein Idol, sein Vorbild“, erzählt Lamia. Einen richtigen Vater habe er schließlich nie gehabt.

Lamia wird mit vielem fertig, findet Lösungen, wo andere längst aufgegeben hätten. Einen fehlenden Vater zu ersetzen, ist jedoch auch für sie, wie wohl für alle alleinerziehenden Mütter, ein schmerzlicher Kampf gegen Windmühlen.

Mitschwimmen statt nur im Wasser treiben

JUBILÄUM     Zum einjährigen Geburtstag verkündet Finkapé noch mehr Tatendrang und Aktivismus

Den Fokus auf Menschen mit afrikanischen Wurzeln legen, jenen eine Stimme geben, die selbst quasi nie zu Wort kom- men, sich selbst in der Gesellschaft repräsentieren – aus diesen Gedanken heraus ist Finkapé entstanden, ein Netzwerk, das vorankommen will, wo seit Jahrhunderten Stillstand herrscht. Bereits anderthalb Jahre bemühen sich Mirlene Fonseca und Jennifer Lopes Santos gemeinsam mit den Schwestern Aldina und Antónia Ganeto um mehr Sichtbarkeit für die Probleme von Schwarzen im Alltag, denn auch in Luxemburg sind die Türen längst nicht für jeden gleich weit geöffnet. Zum Jubiläum wagt das Gründerquartett einen Rückblick und zieht Bilanz der aktuellen Situation.

Laura Tomassini, tageblatt 12. Oktober

„Eines Tages werde ich Chirurg sein“

Vor fünf Jahren kamen Tausende Geflüchtete ins Land. Wo stehen sie heute? Der Afghane Khadem hat Französisch und Luxemburgisch gelernt. Er hat einen festen Job gefunden. Um seinen wirklichen Traum zu erfüllen, muss er Luxemburg aber vielleicht wieder verlassen. 

Sobald Khadem Hussain Karimyar ein Krankenhaus betritt, ist er glücklich. Schon als kleiner Junge wusste er, dass er einmal Chirurg werden möchte. „Herr Doktor“, nennen sie ihn, sein Vater, seine Mutter und seine zwei jüngeren Schwestern. Aus ihren Stimmen sprechen Bewunderung und Stolz, aber auch großer Schmerz. Lange ist es her, dass der junge Afghane ihre Worte nicht durch eine Telefonleitung hören musste. Ebenso lange ist es her, dass sein Medizinstudium kein ferner Traum, sondern Wirklichkeit war.

Noch im Juni 2015 studierte Khadem Hussain Karimyar Medizin im zweiten Jahr an der Universität in Masar-e Scharif in Afghanistan. Er war Klassenbester, hatte viele Freunde. Doch dann musste er gehen. Wie für viele andere, vor allem junge Männer in Afghanistan, war das seit Jahren vom Bürgerkrieg gebeutelte Land auch für ihn nicht mehr sicher. Mit dem kontinuierlichen Rückzug ausländischer Truppen, nahmen auch bewaffnete Aufstände, Anschläge und Vertreibungen wieder zu.

Khadem floh zunächst in den Iran, mit Hilfe von Schleppern dann über die Türkei weiter nach Griechenland. Im Zickzackkurs ging es durch Südosteuropa, nach einem kurzen Zwischenstopp in Deutschland landete er letztlich in Luxemburg. „Ein kleines, offenes Land mit einer neuen Uni“: das klang für Khadem vielversprechend. Mit der Kleidung, die er am Körper trug, und etwas Geld in der Hosentasche stand er im Oktober 2015 auf dem Vorplatz des hauptstädtischen Bahnhofes und suchte die Polizei.

Eine Ankunft mit Hindernissen

2.447 Anträge auf Asyl wurden 2015 in Luxemburg gestellt, so viele in einem einzigen Jahr wie seit 1999 nicht mehr. Damals flüchteten knapp 3.000 Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Luxemburg. 2015 kamen die Menschen nun vornehmlich aus Syrien und dem Irak, auch aus dem Kosovo und aus Afghanistan. Ein Feldbett in dem von der Regierung eilig aufgebauten Erstaufnahmezentrum in der „Halle 6“ der LuxExpo war auch Khadems erste Schlafstätte – im Herbst 2015, in einem winzigen Land im Herzen von Europa, fast 7.000 Kilometer weg von Zuhause.

Auch mit Anfang 20 sind die meisten ja noch kleine Jungs. Sie sehnen sich nach Ruhe, Geborgenheit, einem Familienersatz.“Marianne Donven

Khadem war 22 Jahre alt, als er einen Asylantrag bei der Immigrationsbehörde stellte. Nach kurzem Hin und Her zog er in das heute nicht mehr existierende Flüchtlingsheim in Rippig in der Nähe von Junglinster. Mit knapp zwei Dutzend weiteren männlichen Afghanen, auf drei Zimmer verteilt. Alle Anfang 20, alle alleinstehend. Einer hört Musik, einer raucht, ein anderer telefoniert, zwei diskutieren, Khadem versucht, zu lernen. Ein abgebrochener Lebenslauf, ein Neuanfang in einem fremden Land: Das sind für ihn keine Gründe, seinen Plan, Medizin zu studieren, aufzugeben. Er las, was er finden konnte, lernte Sprachen. So schnell wie möglich wollte er die Anforderungen für ein Medizinstudium in Luxemburg erfüllen.

Doch die Situation im Flüchtlingsheim wurde immer unerträglicher. „Es war zu eng, es gab viel Streit, ich wollte da raus. Und überhaupt, wie soll ich mich in Luxemburg einleben, wenn ich nur mit Afghanen zusammen bin? Wie soll ich Luxemburgisch und Französisch lernen, wenn es keiner mit mir spricht?“ Er war unglücklich und wunderte sich über die Entscheidungen der Luxemburger Behörden.

Neue Familie und neue Chancen

Von einem „unglücklichen Einzelfall“ spricht eine Mitarbeiterin des Nationalen Aufnahmeamtes (ONA). Bei der Verteilung auf die Flüchtlingsheime sei man stets sehr darauf bedacht, für eine kulturelle Durchmischung zu sorgen. Statt nach Herkunftsländern, werde eher nach Familienzusammensetzungen, dem Grad an Selbstständigkeit oder auch der Abhängigkeit von medizinischer Hilfe ausgewählt. Natürlich immer im Hinblick auf die Verfügbarkeit der Plätze in den unterschiedlichen Strukturen. Für die Zusammensetzung in Rippig hat die Mitarbeiterin keine Erklärung.

Von der Flucht über die Anpassung zur Integration: Der 27-jährige Khadem hat sich nach seiner Ankunft in Luxemburg vor fünf Jahren durchgekämpft – und hat seinen Lebenstraum stets vor Augen. (Foto: Eric Engel)

Doch Khadem hatte Glück. Als einer von rund 150 Geflüchteten konnte auch er dank der 2016 gegründeten Bürgerinitiative „Oppent Haus – Open Home“ in einem Privathaushalt untergebracht werden. Nach wenigen Monaten im Asylantenheim zog er zu einer Familie nach Junglinster. „Auch mit Anfang 20 sind die meisten ja noch kleine Jungs“, sagt Marianne Donven, eine der Begründerinnen der Initiative. „Sie sehnen sich nach Ruhe, Geborgenheit, einem Familienersatz“.

Khadem bekam sein eigenes Zimmer, aß, wenn ihm danach war, mit Tania, Thierry und ihren zwei Kindern zu Abend, lernte Luxemburgisch und Französisch. Mit ihnen feierte er den Tag, an dem sein Antrag bewilligt wurde. Und sie waren es auch, die ihm dabei halfen, die Türen zum Luxemburger Bildungssystem aufzustoßen.

Interkulturelle Herausforderungen

Thierry erinnert sich noch gut an das mulmige Gefühl, das er vor dem ersten Treffen mit Khadem hatte. „Man hört ja so einiges in den Medien“, sagt er. Von interkulturellen Herausforderungen, unterschiedlichen Gewohnheiten, gegenseitigem Unverständnis. Trotz guten Willens auf beiden Seiten. Hinzu kam, dass die Luxemburger Behörden ihnen das Leben schwer machten. „Wir hatten einen Zirkus mit dem OLAI“, erzählt seine Frau Tania. „Sie wollten uns tatsächlich davon abhalten, die Geflüchteten im Heim zu besuchen. Dies sei den Organisationen vorbehalten.“

Davon ließen Thierry und Tania sich aber nicht abschrecken. Khadem war ihnen sofort sympathisch, seine gute Kinderstube war ihm anzumerken. Er beeindruckte sie durch sein fließendes Englisch, seine Höflichkeit und seinen Ehrgeiz. Als Thierry ihm dann nach mehrwöchigen gemeinsamen Aktivitäten anbot, zu ihnen zu ziehen, war es Khadem, der zögerte. „Warum helfen sie mir? Warum soll ich das Angebot annehmen“, habe er sich gefragt. Heute ist er nicht nur dankbar für die eineinhalb Jahre gemeinsam, sondern benutzt das Wort Familie, wenn er von Thierry und seiner Frau Tania spricht.

Tania beginnt ihre Sätze gerne mit den Worten: „Ich bin ja nicht seine Mutter“. Ihr ist anzumerken, wie wichtig es ihr ist, nicht übergriffig zu wirken. Zu helfen, ohne sich aufzudrängen, Entscheidungen zu akzeptieren, obwohl es ihrer Meinung nach die falschen sind, das sei nicht immer einfach, erzählt die Luxemburgerin. „Letztlich muss er seinen eigenen Weg gehen“, sagt sie.

Integrationsklassen als Sprungbrett

Sicherlich hätte sie es gerne gesehen, wenn er seine Ausbildung zum Krankenpfleger am technischen Gymnasium abgeschlossen hätte. Es in einem völlig fremden Land bis dahin geschafft zu haben, war doch schon ein Erfolg. Und er hätte zumindest in dem Bereich arbeiten können, in dem er sich so wohl fühlt. Andererseits: Soll er sich zurückstufen lassen? Mit weniger zufrieden geben, nur weil er aus Afghanistan kommt? „Ich habe ihn immer dafür bewundert, dass er an seinem Traum, Medizin zu studieren, festhält“, sagt Thierry, „auch wenn sein Traum schwer zu verwirklichen ist“.

Kinder spielen Fußball auf einer Straße am Stadtrand von Masar-e Scharif, im Norden Afghanistans: Von hier aus machte sich Khadem Hussain Karimyar im Sommer 2015 auf nach Europa, mit der Hoffnung auf ein neues – und vor allem sichereres – Leben. (Foto: Andrew Quilty/ILO)

„Wir versuchen, differenziert auf jeden Schüler und jede Schülerin einzugehen und je nach individuellem Projekt einen Plan zu finden“, erklärt Jos Bertemes, Direktor der „Ecole Nationale pour Adultes“, die auch Khadem eineinhalb Jahre besuchte. Die Schule, die bis August 2018 noch den Namen „Ecole de la deuxième chance“ trug, ermöglicht es vor allem Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Diplome zu erwerben, die ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt, zu einer Berufsausbildung oder zu Universitätsstudien vereinfachen sollen. Besonders die Integrationsklassen richten sich an junge Einwanderer, da ihr Fokus auf dem Erwerb der französischen und der luxemburgischen Sprache liegt.

Khadem wurde anschließend am „Lycée Technique pour Professions de Santé“ aufgenommen. Er machte mehrere Praktika, in den Krankenhäusern in Kirchberg und Esch/Alzette sowie bei einem Zahnarzt. Als ihm dann seine allgemeine Hochschulreife aus Afghanistan vom Ministerium anerkannt wurde, brach er die Ausbildung zum Krankenpfleger ab. „Es war nicht das Richtige für mich“, sagt Khadem. „Vielleicht war er dem Druck nicht ganz gewachsen“, sagt Tania.

Teil einer Erfolgsgeschichte

Heute steht Khadem im Eingangsbereich des Restaurants „Chiche!“ in Limpertsberg. Er sieht seriös aus. Schwarzes, perfekt gebügeltes Hemd, gepflegter Haarschnitt, etwas Gel, aber nicht zu viel. Kunstvoll rasierter Bart. Um den Hals eine silberne Kette, ein Andenken an seine Mutter.

„Es tut mir leid, dass er hier im Restaurant steht, anstatt Medizin zu studieren“, sagt Marianne Donven, eine der Teilhaberinnen der „Chiche!“ sarl. Sie kennt Khadem schon lange, seit Anfang 2018 arbeitet er im Restaurant. Was als kleines Pilotprojekt auf wenigen Quadratmetern in Hollerich begann, ist heute nicht nur das Vorzeigeprojekt für Inklusion von Geflüchteten schlechthin, sondern auch ein sich rasant vergrößerndes Business. 43 Angestellte, überwiegend Geflüchtete, verpflegen etwa 2.000 Kunden pro Woche in zwei, bald drei Restaurants in Luxemburg, Esch und ab Januar auch in Leudelingen. Durch die Pandemie wurde der Erfolg zwar gebremst, aber nicht aufgehalten.

Wenn ich nicht Arzt werde, dann bin ich auch nicht mehr Khadem.“Khadem Hussain Karimyar

Khadem steigt mit auf. Vor einem Monat haben die Geschäftsführer ihm die Verantwortung für den gesamten Saal in Limpertsberg übertragen, für den Empfang, den Service und die Kasse. Mit einem freundlich zurückhaltenden Lächeln begrüßt er die Gäste, gibt jedem Einzelnen das Gefühl, besonders willkommen zu sein. Die französischen Höflichkeitsfloskeln beherrscht er aus dem Effeff, kein Wort klingt gekünstelt, so als hätte er nie etwas anderes gemacht.

Doch wenn es nach Khadem geht, wird er irgendwann das schwarze Hemd gegen den weißen Kittel eintauschen. All das hier ist nur vorübergehend. „Wenn ich nicht Arzt werde, dann bin ich auch nicht mehr Khadem.“

Hohe sprachliche Hürden

Bis letztes Semester konnte man an der Universität Luxemburg nur das erste Jahr Medizin studieren. Danach wurden die Studierenden an Universitäten im Ausland vermittelt, um dort ihr Studium abzuschließen und gegebenenfalls eine Spezialisierung zu absolvieren. Seit diesem Herbst gibt es nun das Angebot, einen Bachelor-Abschluss in Medizin an der Uni Luxemburg zu erreichen. Rund 25 Studenten haben vor wenigen Tagen begonnen, die Kurse zu besuchen. Khadem ist nicht dabei.

Khadem Hussain Karimyar hat schnell Karriere im Restaurant „Chiche!“ gemacht. Dennoch kann es sein, dass er dieser bald ein Ende setzt und Luxemburg verlässt, um in einem anderen Land Medizin zu studieren. (Foto: Eric Engel)

Seine Aufnahme zum Medizinstudium an der Universität Luxemburg scheiterte an den hohen Sprachanforderungen. Während er in Englisch und in Französisch mittlerweile das Niveau erreicht hat, fehlen ihm weiterhin grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache. „Warum muss ein guter Arzt Deutsch können?“ fragt er und verweist darauf, dass die Kurse ohnehin überwiegend auf Französisch und Englisch abgehalten würden. „Die Universität will mir keine Chance geben.“

Sowohl ein in Luxemburg anerkanntes Abitur im Bereich der Naturwissenschaften als auch hervorragende Sprachkenntnisse in Deutsch, Französisch und Englisch sind verpflichtend, um für das Medizinstudium in Luxemburg überhaupt in Frage zu kommen. Diese hohen Voraussetzungen führten dazu, „dass sehr wenige Studenten aus anderen europäischen Staaten oder aus Nicht-EU-Staaten in diesem Studiengang angenommen werden“, heißt es hierzu aus dem Hochschulministerium.

Traum noch nicht aufgegeben

Ende des Jahres wird Khadem voraussichtlich die luxemburgische Staatsbürgerschaft erhalten. Für den Test haben seine Sprachkenntnisse locker gereicht. Dann ist er Luxemburger und kann sich theoretisch an Universitäten in ganz Europa einschreiben. Und er kann eine Studienbeihilfe vom Luxemburger Staat beantragen. Für ein Medizinstudium würde er seine mühsam aufgebauten Zelte in Luxemburg abbrechen. In Maastricht, Brüssel oder Straßburg noch einmal von vorne beginnen. Ob er dann, nach einem Studium in einem anderen Land, dauerhaft nach Luxemburg zurückkommen wird, steht in den Sternen.

Khadem war schon lange nicht mehr in Junglinster. Auch der letzte Anruf liegt Monate zurück. Zu den beiden Kindern der Familie hat er trotz gleichen Alters und vieler gemeinsamer Erinnerungen keinen Kontakt mehr. Er legt die Stirn in Falten, ein bisschen schlechtes Gewissen ist ihm durchaus anzumerken. Das brauche er doch nicht zu haben, meint hingegen Thierry. Wege kreuzen sich und gehen dann auch wieder auseinander. So sei das nun einmal im Leben.

Déménagement du ministère de la Famille, de l’Intégration et à la Grande Région et de l’Office national d’inclusion sociale

Le ministère de la Famille, de l’Intégration et à la Grande Région et son administration “Office national d’inclusion sociale – ONIS” informent de leur déménagement, qui aura lieu du 5 au 7 octobre 2020.

La nouvelle adresse sera, à partir du 5 octobre:

13 c, rue de Bitbourg

L-1273 Luxembourg-Hamm

Les numéros de téléphone des collaborateurs ainsi que la boîte postale (L-2919 Luxembourg) restent inchangés. Les coordonnées de contact des collaborateurs sont consultables sur https://annuaire.public.lu.

L’accessibilité téléphonique sera limitée du 5 au 7 octobre inclus en raison du déménagement. Les personnes qui ont besoin de contacter le ministère ou l’ONIS pendant cette période, voudront bien appeler le numéro: (+352) 247-86500.

Le contrat d’accueil et d’intégration: La bonne solution?

Le contrat d’accueil et d’intégration: La bonne solution?
webconférence :
8 octobre 2020 @ 12 h 15 min – 13 h 45 min
https://www.facebook.com/ASTI.LUXEMBOURG/
Depuis sa création en 2008, le Contrat d’accueil et d’intégration CAI est proposé tant aux ressortissants de l’UE qu’à ceux de pays tiers. Le Luxembourg a ainsi choisi une voie d’intégration originale et non-contraignante, à mi-chemin entre l’immigration choisie, utilitariste et la volonté d’intégrer. Inspiré du contrat d’accueil pratiqué en France, il propose, au-delà de cours de langues, l’adhésion aux valeurs et aux modes de vie de notre pays.
Quelles sont les particularités du modèle français? Les résultats du modèle tel que pratiqué au Luxembourg sont-ils à la hauteur des espérances qu’il est légitime de nourrir dans un pays dont presque la moitié des résidents sont des étrangers? Quelles sont les perspectives de changements à l’étude?
Avec la participation de:
Hillel Rapoport – Professor, Paris School of Economics, Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne
Du Contrat d’Accueil et d’Intégration au Contrat d’Intégration Républicaine: les enseignements de l’expérience française
Jacques Brosius – Conseiller du Gouvernement, Ministère de la Famille et de l’Intégration.
Témoignages de signataires
Sylvain Besch – CEFIS

September Newsletter from EWSI

EUROPEAN WEBSITE ON INTEGRATION
E-Newsletter
30 September 2020 / 137

EU Highlights:

  • The European Commission will launch a Call in mid-October for proposals relating to integration and complementary pathways for the Asylum Migration and Integration Fund work programme, the deadline for which will be 16 February 2021.
  • The European Migration Network (EMN) has released its second report on the impact of COVID-19. This latest edition explores the effects of COVID-19 on international students and the responses of states and higher education institutions (HEIs) across the EU and OECD Member States.
  • The European Commission and the European Social and Economic Partners renewed their commitment to the European Partnership for Integration, first signed in 2017, in order to better address the specific difficulties facing migrant workers as a result of the COVID-19 pandemic.
  • The European Commission released a five-year EU Anti-Racism Action Plan, acknowledging the need to tackle the underlying problem of structural racism in the EU.

There is still time to implement the EU’s integration policy:

The European Commission’s EU-wide public consultation on the next Action Plan on integration and inclusion continues – have your say until 21 October 2020, in all official EU languages.


Upcoming Events
NPICR conference, Prague: We accept, integrate and educate children of migrants

15/10/2020 09:00
(Konferenční sál, Senovážné náměstí 872/25, Prague, Czech Republic)
On October 15 the National Pedagogical Institute of the Czech Republic (NPICR) will hold the fourth edition of its teaching conference. As in previous years discussion will focus on measures taken by the Ministry of Education, Youth and Sports to support children who are migrants or…
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Latest NewsCzech Republic: Integration courses may be mandatory for migrants from 2021

According to new regulations proposed by the Czech Republic’s Interior Ministry, foreigners seeking long term or permanent residence in the Czech Republic will need to take a mandatory integration course – which before now has been voluntary – from 1 January 2021. These new regulations are…

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Luxembourg: Business MeetUps

The Touchpoints Business MeetUps is a monthly networking event held over a meal, bringing together budding entrepreneurs, employers, migrant jobseekers, established entrepreneurs and key players in the entrepreneurship world.
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Portugal: AMIF funding for reception facilities

The Portuguese Ministry of Internal Administration (MAI) is now accepting funding applications for projects creating reception facilities for refugees and asylum seekers. The funding will come from the EU’s Asylum, Migration and Integration Fund (AMIF). The total amount available is 1 094 772…

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En matière de migration, l’Europe trouve un compromis entre la lâcheté et la xénophobie

A quelques jours de la sortie de son dernier ouvrage, « On a tous un ami noir », qui traite de la migration, François Gemenne a une position très critique vis-à-vis du pacte migratoire de l’UE. « Quand on écoute Ursula Von Der Leyen parler du pacte sur la migration, on a l’impression d’entendre une vendeuse de voitures d’occasion qui essaie de faire passer pour neuve une voiture qui est en panne depuis 20 ans. On vit dans une Europe qui va de plus en plus vers l’idée d’une Europe forteresse, qui essaie de réserver un espace de paix et de prospérité à ceux qui sont à l’intérieur. La frontière aujourd’hui permet surtout de rassurer les gens, de leur dire qu’ils sont du bon côté, en excluant ceux qui sont dehors, presque comme s’ils étaient déjà en dehors de l’humanité. »

François Gemenne : « En matière de migration, l’Europe trouve un compromis entre la lâcheté et la xénophobie »

François Gemenne : « En matière de migration, l’Europe trouve un compromis entre la lâcheté et la xénophobie » (vidéo)

Aligner les pays européens

« On ne parvient pas à trouver un accord entre les 27 pays européens pour avoir une vraie politique d’asile et des migrations commune. » En témoigne d’ailleurs la position de la Hongrie. « On a tellement bien discuté avec Viktor Orban qu’on lui a laissé directement écrire le nouveau pacte. Autant la Commission Junker proposait des choses qui me semblaient aller dans le bon sens, mais qui se heurtaient systématiquement aux refus des états membres. Autant, ici, on a l’impression d’une capitulation en rase campagne de la Commission qui dit à Orban : puisque de toute façon vous allez rejeter ce qu’on propose, écrivez-le directement et on va vous proposer, non seulement une solidarité dans l’accueil, on va vous proposer aussi d’être solidaires dans les expulsions et de vous aider à renvoyer des gens. » Mais si le Pacte de la Commission précédente était intéressant dans les idées, avec ce que François Gemenne décrit comme une situation idéale de progrès, dans les faits il était ingérable sur le plan politique. « Cette fois on a l’impression que la Commission part du point de vue des États et propose quelque chose qui va forcément leur convenir, qui aura sans doute plus de chances d’être accepté. Le problème, c’est que c’est une sorte de nouvelle fuite en avant où les frontières extérieures semblent constituer le seul horizon politique commun. Je le vois comme une sorte de défaite politique et comme une sorte de compromis entre la lâcheté et la xénophobie. Je pense vraiment que la Commission pouvait proposer mieux. »