Rassismus-Debatte: Ansonsten nicht mundtote Ministerin Cahen gibt sich handzahm
Corinne Cahen ist kein Kind von Traurigkeit. In der Regierung gehört die liberale Ministerin für Familie und Integration zu den freimütigsten Vertretern, äußert ihre Meinung oft unverblümt. Eigentlich lobenswerte Charakterzüge, würde sich die Ex-Geschäftsfrau dadurch nicht manchmal auch in Schwierigkeiten bringen.
Als Journalistin ist es Cahen gewohnt, den Finger in die Wunde zu legen. Zwischen 1995 und 2004 war sie in unterschiedlichen Funktionen für RTL tätig, zuvor hatte sie in Frankreich auch die Nachrichtenagentur AFP mit Informationen gefüttert. Auch persönlich ist Cahen „vun der Long op d’Zong“: Sie begibt sich gerne auf Tuchfühlung zu ihrem Publikum, lauscht den Sorgen ihrer Gegenüber, zögert aber auch nicht, potenziellen Wählern Paroli zu bieten.
Mehrmals schon hat diese Impulsivität den unpolitischsten aller Regierungsvertreter in heiße Gewässer gebracht. Zuletzt noch im Rahmen der Bauarbeiten im Bahnhofsviertel der Hauptstadt: In einer E-Mail an die „Union commerciale de la Ville de Luxembourg“ (UCVL) hatte die Inhaberin von Chaussures Léon im April 2019 die vermeintliche Passivität des Einzelhandelsverbandes angesichts der Bauarbeiten kritisiert. Das Problem: Sie hatte das Schreiben mit ihrer offiziellen Regierungsadresse gesendet und als Ministerin unterzeichnet.
Vorwürfe, sie habe sich eines Interessenkonflikts schuldig gemacht, ließen nicht lange auf sich warten. Die Argumentation, sie habe sich als ehemalige UCVL-Präsidentin generell für den Einzelhandel einsetzen wollen, ließen ihre Gegner nicht durchgehen. Es folgten Forderungen nach Ermittlungen durch den Ethikrat, denen Cahen allerdings zuvorkam: Sie selbst bat Premier Xavier Bettel um Einberufung des Rates … und bewies damit wieder die Raffinesse einer politischen Quereinsteigerin, die bei den Wahlen 2013 auf Anhieb den Sprung in die Regierung schaffte.
Im besagten Wahlkampf war Cahen vor allem in den sozialen Medien mit Zusammenfassungen aufgefallen, in denen sie das Tagesgeschehen kritisch unter die Lupe nahm. Ministerehren taten ihrer spitzen Feder zunächst keinen Abbruch, vor allem wenn Themen unter Beschuss gerieten, die ihr am Herzen lagen. Inzwischen aber hat sie Wasser in den digitalen Wein gegossen, weshalb die Funkstille des Integrationsministeriums in der aktuellen Rassismus-Debatte umso mehr auffällt.
Als Jüdin ist Corinne Cahen selbst Mitglied einer Gemeinschaft, der Verfolgung nicht fremd ist. Ihr demnach Ignoranz vorzuwerfen, ist obsolet. Auf die vermeintliche Diskriminierung im Lande angesprochen, greift die ansonsten nicht mundtote Ministerin allerdings auf eine politische Antwort zurück: „Jedes Prozent ist ein Prozent zu viel.“ Natürlich kann sie dem Land kein Rassismus-Problem bescheinigen. Schließlich würde sie damit die Kampagnen ihres Ministeriums untergraben. Etwas mehr Unverblümtheit aber könnte im Kampf gegen Diskriminierung nicht schaden.
tageblatt 29.11.2019