Theorie und Praxis

LEITARTIKEL Luxemburger Wort  25. Juli 2017

„Will der Staat die Sache selbst in die Hand nehmen, scheitert er schon mal an sich selbst.“

Als die Flüchtlingswelle Europa vor anderthalb Jahren mit voller Wucht traf, reagierte auch Luxemburg. Um den befürchteten Massenzustrom aufzufangen, entschied der Staat, neben der Nutzung von bestehenden Gebäuden auch den Bau von Containerdörfern. So sollte möglichst schnell viel Platz geschaffen werden. Diese „Dörfer“ könnten nämlich theoretisch binnen sechs Monaten errichtet werden. Theoretisch. Die Praxis sieht anders aus. Dies zeigte unlängst wieder die Episode um den Standort Steinfort, wo so schnell keine Container stehen werden.

Vielerorts haben die Containerprojekte Gegenwind und dadurch Verzug erfahren. Sie werden nicht so umgesetzt wie ursprünglich geplant (Esch/Alzette, Marnach) oder es herrscht Stillstand aufgrund laufender Gerichtsverfahren (Mamer, Junglinster). Bis dato funktioniert nur die Struktur auf dem Diekircher Herrenberg.

Sicherlich müssen die genannten Projekte jedes für sich betrachtet werden. Dennoch sollte dies nicht über den Kern des Problems hinwegtäuschen: Dass der Staat in einer akuten Notlage offensichtlich nicht so reagieren kann wie erforderlich, selbst wenn die Regierung willens ist. Denn, will der Staat die Sache selbst in die Hand nehmen – Stichwort „Plan d’occupation du sol“ in Steinfort –, scheitert er rasch an den eigenen Reglementierungen und Prozeduren. Überträgt er die Verantwortung auf die Gemeinden, muss er in Kauf nehmen, dass diese von ihrem Recht auf kommunale Autonomie Gebrauch machen und die Projekte so umsetzen, wie sie es für richtig halten. Ob man die jeweiligen Entscheidungen und Argumentationen der Gemeindeoberen nachvollziehen kann oder gutheißt, das muss jeder Bürger für sich selbst entscheiden. Fakt ist, dass Luxemburg so in seinem Bestreben, in puncto Flüchtlinge möglichst effektiv zu handeln, also zügig umfangreiche Kapazitäten zu schaffen, hinterher hinkt. Da kann man von Glück sagen, dass die Flüchtlingswelle das Land nicht so hart getroffen hat, wie bisweilen gedacht.

Dabei besteht weiter Handlungsbedarf. Erst vergangene Woche erklärte Außenminister Jean Asselborn, dass immer noch Strukturen für Flüchtlinge gebraucht werden. Nicht nur für solche, die wieder ausgewiesen werden, sondern auch für jene, denen dauerhaft Asyl gewährt wird. Im Juni erreichten 143 Flüchtlinge das Großherzogtum. 56 weniger als im Mai. Dennoch bleibt die Zahl der Asylbewerber hoch. Seit Jahresanfang haben 1 211 Personen einen Asylantrag gestellt, 2016 waren es 2 035.

Es bleibt also noch einiges zu tun. Mancherorts hat man aber den Eindruck, dass die Lokalpolitiker nur allzu gerne POS, SUP, PAG und laufende Verfahren als Vorwand nehmen, um ein klares Statement in der Flüchtlingsfrage zu vermeiden. Wer möchte auch schon so kurz vor den Wahlen ein solch heißes Eisen anfassen?

Auch der mediale Schlagabtausch zwischen dem Steinforter Bürgermeister Jean-Marie Wirth und Minister François Bausch um das Containerdorf roch etwas nach Wahlkampf. Es wurde weniger miteinander, dafür aber umso mehr übereinander geredet und bisweilen konnte man sich des Eindrucks nicht verwehren, in Steinfort wolle man einfach keine Flüchtlinge aufnehmen.

Und das ausgerechnet in der Heimatgemeinde unseres allseits beliebten Außenministers, der so engagiert andere Staaten auf ihre Solidaritätspflicht in der Flüchtlingsfrage aufmerksam macht. Das kann so ja wohl nicht sein.

gilles.siebenaler@wort.lu