Versammlungsfreiheit

 Léon Gloden will Demos in Luxemburg neu regeln – und setzt dabei vor allem auf Abschreckung
Versammlungsfreiheit / Léon Gloden will Demos in Luxemburg neu regeln – und setzt dabei vor allem auf Abschreckung
Eine Demonstration vor der Chamber könnte bei Inkrafttreten des Gesetzes in etwa so aussehen Foto: Editpress/Anne Lommel

tageblatt 7 März 2025

Transparente und Trillerpfeifen, Menschenketten und Sprechgesänge – Demonstrationen sind der lärmende Ausdruck des politischen Willens auf der Straße. Das gefällt längst nicht jedem. Während hunderte Menschen ihre Schilder für den Frauenstreik am Samstag bemalen, tüftelt das Innenministerium an einem neuen Versammlungsgesetz. Der Text atmet den Geist der Abschreckung.

 

Nehmen wir an, Sie verfolgen an einem Freitagabend einen ungeheuerlichen Vorgang im Fernsehen – etwa, wie der amerikanische Präsident vor laufenden Kameras seinem ukrainischen Pendant die jahrelange Unterstützung entzieht, ihn beleidigt und den Schulterschluss mit einem Diktator probt. Sie sind wütend, geschockt, erschüttert. Sie rufen Ihre Freunde an – einige von ihnen sind gut vernetzt, aktiv in Vereinen, NGOs und Gewerkschaften. Der Plan: Am Samstag zusammen vor die amerikanische Botschaft auf dem Limpertsberg ziehen, um gegen Trumps Verhalten zu protestieren. Auf die Schnelle werden Schilder gebastelt und Pressemitteilungen vorbereitet. Tags darauf ist es so weit: 500 Menschen sind Ihrem Aufruf gefolgt – sie demonstrieren für den Erhalt des Rechtsstaats in den USA und die Unterstützung der Ukraine.

Herzlichen Glückwunsch, Sie haben sich gerade möglicherweise strafbar gemacht. Zumindest, wenn das „Avant-projet de loi“ des Innenministeriums zur Versammlungsfreiheit in seiner vorliegenden Form in Kraft treten würde. Dieses Gesetz sieht nämlich vor, dass Sie fünf Tage vor einer Demonstration einen Antrag auf Autorisierung bei dem Bürgermeister der jeweiligen Gemeinde stellen müssen. Dazu müssen Sie ein Formular ausfüllen, in dem Sie Ort, Zeitrahmen, Grund der Demonstration und die erwartete Zahl der Teilnehmer angeben, ebenso natürlich Ihre Adresse und eine Kontaktperson (Art. 3, Paragraf 3). Fehlt eine Angabe, ist Ihr Antrag ungültig. Der Bürgermeister – oder in 90 Prozent der Fälle einfach Lydie Polfer, denn die meisten Demos finden nun mal in der Hauptstadt statt – muss Ihnen dann binnen eines Tages antworten. Außer natürlich, er oder sie tut es nicht. Wenn der Bürgermeister vier Tage lang schweigt, gilt Ihr Antrag als abgelehnt (Art. 3, Paragraf 6).

Das richtige Gesetz?

In der Ausgabe vom 21. Oktober 2024 hatte das Tageblatt bereits über die Vorlage eines Gesetzesprojektes zur Versammlungsfreiheit berichtet. Das Innenministerium wies anschließend darauf hin, dass der Text, der der Redaktion vorlag, von der Vorgängerregierung ausgearbeitet wurde. Diese Informationen gingen aus dem vorliegenden Dokument damals nicht hervor und wurden auch bei weiteren Tageblatt-Recherchen nicht ersichtlich. Das Innenministerium schrieb zudem, dass ein neues „Avant-projet de loi“, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, ausgehandelt werde. Dieses liegt der Redaktion nun vor und auf diesen Entwurf bezieht sich unser Artikel.
Ein „Avant-projet de loi“ ist ein Text, der noch nicht als Gesetzentwurf bei der Chamber deponiert wurde – es ist sozusagen ein erster Entwurf, den das zuständige Ministerium vertraulich verschiedenen Organisationen zur Verfügung stellt, um deren Meinung dazu zu erfahren. Stichtag für diese Gutachten von Parteien, Gewerkschaften und NGOs war der 3. März.

Härtere Strafen

Die Versammlungsfreiheit in Luxemburg ist bislang nicht durch ein nationales Gesetz geregelt. Von 100 Gemeinden im Land verfügen 78 über ein Polizeireglement, von denen die meisten auch Demonstrationen abdecken, so das Innenministerium im „Exposé des motifs“ des vorliegenden Gesetzesvorschlags. Die Initiative für das vorliegende Gesetz geht auf eine Motion des Abgeordneten Laurent Mosar (CSV) vom 7. Dezember 2021 zurück. Drei Tage zuvor hatten Demonstranten gegen die Covid-19-Maßnahmen die Absperrungen von Weihnachtsmärkten niedergerissen und das Haus des damaligen Premierministers Xavier Bettel (DP) mit Eiern beworfen. Der Schock muss den Parlamentariern noch tief in den Knochen gesteckt haben, denn die Motion wurde einstimmig angenommen. Sie fordert härtere Strafen für die Organisatoren unautorisierter Demonstrationen und eine Revision der geltenden Sicherheitsvorkehrungen.

Man kann Innenminister Léon Gloden (CSV) nicht vorwerfen, dass er sich nicht an die Vorgaben des Parlaments gehalten hätte. Zwischen 500 und 7.500 Euro darf der Veranstalter zahlen, der trotz fehlender Genehmigung eine Demonstration organisiert oder durch falsche Informationen über den Charakter der Demonstration hinwegtäuscht oder sich nicht an die vom Bürgermeister vorgeschriebenen Beschränkungen hält. 251 bis 2.500 Euro kostet es, bei einer Demonstration sein Gesicht zu verdecken – es sei denn, es handelt sich nicht mehr um eine Demonstration, sondern um ein sogenanntes „Attroupement“. Dann ist die Strafe 15 Tage bis drei Jahre Knast und 500 bis 10.000 Euro Bußgeld. Aber wann wird aus einer Demonstration ein „Attroupement“? Wenn Autos brennen? Oder wenn jemand eine Mülltonne umschmeißt?

Die Frage ist nicht banal: Im Falle eines „Attroupement“, das sich trotz zweifacher Aufforderung der Polizei nicht auflöst, darf diese Gewalt einsetzen, um die Leute zu zerstreuen. Es wäre also höchst sinnvoll, ein „Attroupement“ möglichst klar zu umreißen, damit man als Demonstrant darauf achten kann, nicht Teil eines solchen zu werden. Denn Demonstrationen sind dynamische Angelegenheiten. Manchmal beginnen sie friedlich, dann zündet irgendjemand ein bengalisches Feuer, die Stimmung kippt, Panik bricht aus, Steine fliegen – wer schon mal bei einer Großdemonstration im Ausland dabei war, kennt das Prinzip.

Der Gesetzentwurf des vorherigen Innenministers Henri Kox („déi gréng“) hatte eine, zugegebenermaßen miserable Definition von „Attroupement“ im Text. Bei Glodens Entwurf fehlt sie völlig. Die Erwähnung im Strafgesetzbuch hilft auch nicht weiter – sie stammt von 1879 und beschreibt eine Truppe, die die öffentliche Ordnung stört und die Händler mit Gewalt dazu zwingt, ihr Korn günstiger als zum Marktpreis zu verkaufen. Das war 1879 vermutlich ein echtes Problem. Damals war Luxemburgs Staatschef aber auch noch der König der Niederlande. Und eine europäische Menschenrechtskonvention, die Bürgern das Recht auf friedliche Demonstrationen einräumte, gab es noch nicht.

Schutz der Freiheit?

Apropos Menschenrechte: Im „Exposé des motifs“ unterstreicht das Innenministerium lang und breit, wie wichtig die Versammlungsfreiheit sei und dass sie von internationalen Chartas, aber auch von der luxemburgischen Verfassung garantiert wird. Um diese Freiheit zu garantieren und ihr einen klaren, rechtlichen Rahmen zu geben, dürfe der Staat eine Autorisierungsprozedur einführen. Diese Möglichkeit findet der Innenminister in der Luxemburger Verfassung von 1868, aber auch in zwei Gerichtsurteilen des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte über Fälle in Moldawien und Russland.

„Die Frage ist aber gar nicht, ob der Staat eine Autorisierungsprozedur einführen darf oder nicht“, sagt ein Jurist, den das Tageblatt im Rahmen dieser Recherche konsultiert hat und der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Die Frage ist, ob die Ausübung eines Grundrechts einer Erlaubnis bedürfen sollte. Man kann Menschen auch zutrauen, mit ihrer Freiheit verantwortungsvoll umzugehen.“ Denn Gewaltexzesse und Störungen der öffentlichen Ordnung sind immer strafbar, ob nun eine Demonstration autorisiert ist oder nicht. Die Täter bei der eskalierten Corona-Demonstration wurden strafrechtlich belangt. Der Rechtsstaat hat die Mittel, sich gegen gewalttätige Ausschreitungen zur Wehr zu setzen. „Das vorliegende Gesetz“, so der erwähnte Jurist, „dient der Abschreckung.“

Hohe Hürden

Betrachtet man den Gesetzestext von diesem Gesichtspunkt her, dann ergeben viele Punkte plötzlich Sinn. Weshalb zum Beispiel ein unvollständiger Antrag von vorneherein als ungültig bewertet wird – so streng ist in Luxemburg nicht einmal die Steuerverwaltung, wenn man bei der Steuererklärung ein Zertifikat vergisst. Oder auch, weshalb der Veranstalter einer Demo zum Verwaltungsgericht tingeln muss, wenn er Einspruch gegen die Ablehnung seiner Demonstration einlegen will. Denn dazu braucht man einen Anwalt – und damit auch gewisse finanzielle Ressourcen, die einer Privatperson möglicherweise nicht zur Verfügung stehen. Und auch die vorgesehenen Strafen für eine fehlerhafte Anmeldung schlagen in diese Kerbe. Natürlich schreckt man damit keine Nichtregierungsorganisation wie Amnesty oder Greenpeace ab. Auch keine Gewerkschaft. Aber andere schon. Zum Beispiel diejenigen, die regelmäßig große Demonstrationen in Luxemburg organisieren.

Das sind nämlich die Schüler. Egal ob Fridays for Future oder Proteste gegen gewisse Gesetzesvorhaben – wenn jemand in den letzten 15 Jahren in Luxemburg effektiv mobilisiert hat, war es häufig die Jugend. Leute, die teilweise noch nicht wählen dürfen und auf diese Weise ihren Beitrag zur politischen Willensbildung im Land leisten. Leute, die die Versäumnisse und Fehlschritte der Politik von heute noch ein halbes Jahrhundert oder länger ausbaden müssen.

Das aktuelle Gesetzesprojekt zur Versammlungsfreiheit mag mit den Corona-Protesten im Hinterkopf geschrieben worden sein. Aber die Leidtragenden werden kaum diejenigen sein, die den Staat sowieso prinzipiell als Unterdrücker wahrnehmen. Sondern diejenigen, die sich im Rahmen ihrer verbrieften Rechte am demokratischen Diskurs beteiligen wollen. Denn welche Eltern lassen ihr Kind bei einer Demonstration mitlaufen, bei der ihm eine Strafe von 2.500 Euro droht, wenn es sich das Gesicht mit einem Schal bedeckt? Oder bei dem die Polizei den Schlagstock zückt, weil jemand ein Ei an eine Hauswand geschmissen hat? Richtig: niemand, der noch halbwegs bei Verstand ist.