Wanteraktioun: „Unsere“ Armen
Laut Politiker*innen wie Lydie Polfer gebe es genügend soziale Strukturen, um Arme in Luxemburg zu unterstützen. Doch ausgerechnet aus der „Wanteraktioun“ sollen nun Menschen ausgeschlossen werden.
Die jährlich im Winter geöffnete Notunterkunft „Wanteraktioun“ (WAK), die unter anderem täglich warme Mahlzeiten anbietet, soll diese Saison von Mitte November bis Mitte April 2,4 Millionen Euro kosten, 20 Prozent mehr als letztes Jahr. Trotz höheren Budgets ist der Zugang nicht länger allen garantiert. Denn Familienminister Max Hahn (DP) präsentierte bei der Eröffnung der WAK neue Kriterien: Künftig dürfen nur Personen in der Unterkunft unterkommen, die „eine Mindestanzahl von Monaten“ in Luxemburg nachweisen können. Personen „ohne soziale Rechte“, wie die Croix-Rouge offiziell mitteilte, dürfen künftig nur drei Tage und drei Nächte lang die Einrichtungen der WAK nutzen. Einzige Ausnahme: bei „großer Kälte“.
Das zeigt, wie wenig es dem Ministerium um Hilfestellung und Armutsbekämpfung geht. Stattdessen ist es lediglich bemüht, einen Skandal zu verhindern: Niemand soll an Hypothermie sterben. Solange es dafür nicht kalt genug ist, wird manchen ihr Recht auf Unterkunft eingeschränkt. Wie viele Monate sich eine Person mindestens in Luxemburg aufhalten muss, um Recht auf ein Bett in der WAK zu haben, wie Sozialarbeiter*innen dies in der Unterkunft überprüfen, oder ab wann genau eine „große Kälte“ gilt, ist unklar. Am Telefon wollte der Verband Dräieck, der die WAK leitet, die Fragen der woxx nicht beantworten. Die Redaktion wartet noch auf eine schriftliche Rückmeldung.
Was einst als Notlösung gedacht war, währt nun schon 23 Jahre. Und die Not steigt. Parallel zur zunehmenden Prekarität – eine von fünf Personen ist hierzulande von Armut bedroht – steigt auch die Anzahl der Personen, die in der WAK Zuflucht suchen. Letztes Jahr aßen laut Angaben des Ministeriums 2.218 Personen in der WAK zu Abend und frühstückten dort. In der Saison davor waren es 1.310 Personen, im Winter von 2017/18 waren es deren 873. Die Kapazität der Betten stieg im vergangenen Dezember mitunter von 250 auf 300 in Notfällen.
Die menschenrechts- verachtende Entscheidung erschafft weitere strukturelle Diskriminierungen gegen hilfsbedürftige Personen.
Diesen Anstieg sieht Hahn jedoch nicht als Symptom eines überforderten Sozialsystems oder gar als Ansporn, an langfristigen Lösungen wie „Housing First“ oder mehr ganzjährig geöffneten Notschlafstellen zu arbeiten. Stattdessen argumentiert der Familienminister mit dem rückständigen Schlagwort „Sozialtourismus”. Ein Begriff, der schon 2013 in Deutschland zum „Unwort des Jahres“ gekürt wurde, wie die NGO „Solidaritéit mat den Heescherten“ in einem kritischen Presseschreiben anmerkte. Mit den neuen Kriterien, gehe es der Regierung darum, Menschen, die von außerhalb Luxemburgs kommen, nicht mit den tollen Lebensbedingungen der Wanteraktioun anzuziehen. Eine Begründung, die Solidaritéit mat den Heescherten zu Recht scharf kritisiert: Die Unterkunft sei ohnehin „spartanisch“, die Tagesorganisation „fast militärisch“, es mangele an Privatsphäre: „In diesem Zusammenhang von ‚Sozialtourismus‘ zu sprechen, ist völlig unpassend“, so die NGO.
Potenziell betroffen sind nun eine ganze Schar von Personen, die vermehrt auf die WAK angewiesen sind. Unter ihnen nicht nur Obdachlose und Personen aus diskriminierten Gruppen wie den Roma und Sinti, sondern auch Familien mit Kindern: Allein im vergangenen Jahr kamen 18 Familien in der WAK unter. Auch Asylsuchende, die seit der Entscheidung des früheren Immigrationsministers Jean Asselbon (LSAP) als „Dublin-Fälle“ nicht länger ein Bett in den Unterkünften des Office national de l’accueil (ONA) garantiert haben, oder Personen mit Schutzstatus, denen wegen Platzmangel in den ONA-Unterkünften der Rausschmiss droht (woxx 1805), sind womöglich betroffen. Auf Nachfrage der Abgeordneten Joëlle Welfring (Déi Gréng), gab Hahn am 19. November an, dass in den letzten drei Jahren zehn „Räumungen“ aus den ONA-Unterkünften stattgefunden haben – vier davon betrafen Familien.
Den Zugang zur WAK zu beschränken, ist nicht nur ein Affront gegenüber den Schwächsten unserer Gesellschaft. Die menschenrechtsverachtende Entscheidung schafft weitere strukturelle Diskriminierungen gegen hilfsbedürftigen Personen. Den Ursachen wie unerschwingliche Mieten und prekäre Arbeitsbedingungen muss endlich ins Gesicht gesehen werden. Gegen die steigende Armut müssen systematische soziale Maßnahmen getroffen werden, statt lediglich jeden Winter aufs Neue das Schlimmste zu verhindern.