Warum sich Menschenrechtler an den neuen EU-Asylregeln stören
Luxemburger Wort online 20. Dezember
Die EU hat es geschafft, sich auf gemeinsame Asylegeln zu einigen. Doch warnen viele vor der unnötigen Härte der Reform.
Diego Velazquez
„Wir können stolz auf Europa sein“ sagte die EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am Mittwoch. Kurz davor hatten Vertreter des Parlaments, der Mitgliedstaaten und der EU-Kommission verkündet, dass man sich endlich – nach langen und zähen Verhandlungen – auf eine Reform des Asylsystems geeinigt hatte.
Dass man sich, nur wenige Monate vor den nächsten EU-Wahlen, auf eine derartig politisch heikle und technisch komplexe Akte einigen konnte, sorgte für ein Aufatmen in Brüssel. Die EU-Kommission sprach von einer „historischen Einigung“. „Es ist der stolze Beweis, dass die EU Antworten auf die Sorgen vieler Bürger liefern kann“, sagte Margaritis Schinas, der Vize-Präsident der Brüsseler Behörde. Kurz: „Ein voller Erfolg“.
Warum Jean Asselborns restriktive Asylpolitik fragwürdig ist
In der Tat schafft der sogenannte „Migrationspakt“ gemeinsame Regeln, wo es davor keine gab. „Es ermöglicht uns, die Kontrolle unserer Grenzen zu stärken, und die Rechte von Flüchtlingen in der EU zu harmonisieren“, resümiert etwa Stéphane Séjourné, der Chef der EU-Liberalen im EU-Parlament.
Was steht im Pakt?
Künftig soll es demnach einheitliche Verfahren an den EU-Außengrenzen geben. Alle Menschen, die die EU illegal – auch nach einem Bootsunglück – betreten, sollen streng geprüft und registriert werden. Dabei soll schneller geurteilt werden, ob Menschen Recht auf Asyl haben oder nicht. Geplant ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Auch wird sich erhofft, Menschen ohne Recht auf Asyl schneller abzuschieben. Problematisch ist dabei, dass Menschen bis zur Entscheidung über den Asylantrag unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern untergebracht werden können.
Politisch kam die EU in der Migrationsfrage unter Druck, weil die Verantwortung bislang ungleich auf die EU-Staaten verteilt war. Länder wie Griechenland oder Italien sind seit Langem mit der Vielzahl an Menschen, die dort ankommen, überfordert. Viele zogen demnach unregistriert weiter in andere EU-Staaten, was wiederum im reicheren Norden für Unmut sorgte. Inwiefern der neue „Migrationspakt“ etwas daran ändern wird, ist allerdings unklar.
Darin wird das Prinzip der Dublin-Regeln, die vom Pakt ersetzt werden, eigentlich zementiert: Noch immer bleibt das erste EU-Land, das von einem Migranten betreten wird, für dessen Asylprozedur zuständig. Allerdings führt der Pakt einige Solidaritätsmaßnahmen ein, um Staaten, die in Krisensituationen überfordert sind, unter die Arme zu greifen. Das ist ein Überbleibsel der Idee der Flüchtlingsquoten, die der ehemalige EU-Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker 2015 vorschlug.
Luxemburger bewerten Migration positiv
Im neuen „Migrationspakt“ gibt es allerdings keine verbindlichen Quoten mehr, die Staaten zwingen würden, Flüchtlinge aufzunehmen. Länder, die sich weigern, Schutzsuchende aus einem anderen EU-Land zu übernehmen, können auch finanziell und materiell zur Hilfe eilen. Das könnte aber auch bedeuten, dass dadurch Grenzzäune oder ähnliches finanziert werden, befürchten Menschenrechtsorganisationen. „Solidarität wird damit zur Regel“, meint dagegen Schinas. Doch die Aussage wirkt etwas optimistisch.
„Der Deal ist nicht perfekt“, gab auch Roberta Metsola zu, die sich dennoch gratuliert, dass die EU es geschafft habe, Kompromisse in dieser schwierigen Akte zu finden. Kompromisse, die laut zahlreichen Menschenrechtsorganisation auf Kosten der Rechte von Schutzsuchenden gehen. Der European Council on Refugees and Exiles (ECRE) meint etwa, dass EU-Staaten nun gezwungen werden „Menschen in Haftzentren an Grenzen (oder anderswo) festzuhalten, wo sie minderwertigen Asylverfahren unterzogen werden“. Obendrein haben EU-Staaten nun das Recht, sich von Asylregeln zu befreien, wenn sie sich einer Krise ausgesetzt fühlen.
Konzept der „Instrumentalisierung“ sorgt für Unmut
Diese Ausnahmen betreffen auch die sogenannte Instrumentalisierung von Migranten, also wenn Migranten von Drittstaaten oder feindlichen nicht-staatlichen Akteuren zur Destabilisierung der EU eingesetzt werden. Für NGOs und Politiker links der Sozialdemokraten besteht dabei das Risiko, dass diese Ausnahmen leichtfertig missbraucht werden können, um Asylsuchenden ihre Rechte zu verwehren. So wird befürchtet, dass NGOs, die in der Seenotrettung aktiv sind, als feindliche nicht-staatliche Akteure definiert werden könnten.
„Nach langen Jahren der Verhandlungen schafft sich die EU endlich ein effizienteres, gerechteres und sichereres System, das das Gleichgewicht zwischen Solidarität und Verantwortung respektiert“, urteilt dennoch Luxemburgs Innenminister Léon Gloden (CSV). Für den CSV-Politiker war es wichtig, eine Einigung vor den nächsten EU-Wahlen zu erzielen, damit das Thema Migration nicht die gesamte Kampagne überschattet.
Gloden unterstreicht Gemeinsamkeiten mit der Vorgängerregierung
Tilly Metz, EU-Abgeordnete für Déi Gréng, kritisiert indes die Kulanz der Regierung, was den Ausgang der Verhandlungen angeht. „Im Juni dieses Jahres sprach die luxemburgische Regierung sich noch für eine humane europäische Migrationspolitik aus. Doch der Migrationsdeal lockert sämtliche Menschenrechtsgarantien, inklusive für Familien mit Kindern. Es ist kaum zu glauben, aber Kinder ab sechs Jahren sollen in Zukunft inhaftiert und unter Nötigung zur Abgabe von biometrischen Daten gezwungen werden können. Wenn die neue luxemburgische Regierung diesen Deal unterstützt, bricht sie definitiv mit der humanitären luxemburgischen Migrationspolitik der letzten Jahre“.