„Wir sind nicht glücklich über den Rechtsruck“ 

EU So reagieren Akteure aus Luxemburgs Zivilgesellschaft auf die Wahlergebnisse

tageblatt 11. Junid 2024   Tobias Senzig, Marlene Bucher, 
David Rock, Isabel Spigarelli
Die EU-Wahlergebnisse sind da: Europa ist nach rechts gerückt. Das Tageblatt hat bei Luxemburger Akteuren aus der Zivilgesellschaft nachgefragt, wie sie die Wahlergebnisse einordnen.

Nora Back, OGBL-Präsidentin
„Wir sind nicht glücklich über den Rechtsruck in Europa“, sagt Nora Back, die Präsidentin des OGBL. Das sei ein Ausdruck der gewachsenen Ungleichheit in der EU: „Die Wähler haben ihren Frust in der Wahlkabine ausgedrückt“, sagt Back. Luxemburg sei von diesem Trend verschont geblieben. „Wir sind froh darüber, dass die LSAP mit ihren sozialen Themen so viele Stimmen hinzugewonnen hat“, sagt Back. Man könne das Ergebnis aber mit Blick auf die ADR nicht schönreden.
In den vergangenen Jahren seien viele wichtige EU-Richtlinien verabschiedet worden. Und es seien die rechten Parteien gewesen, die immer gegen diese Projekte gestimmt hätten. In der kommenden Legislaturperiode sei es wichtig, in der Europäischen Union die soziale Seite nicht zu kurz kommen zu lassen. Die Ungleichheit wachse jedoch weiter, deswegen „ist es wichtig, das jetzt anzupacken“, sagt Back: „Wir brauchen bessere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, mehr Sozialstaat und mehr soziale Sicherheit.“
Back hofft, dass die Luxemburger Regierung aus den Wahlen am Sonntag eine Lektion zieht: „Politik muss man mit den Menschen machen.“ Denn in Frankreich habe die Regierung gegen den Willen der Bevölkerung eine Reform des Rentensystems durchgesetzt – und am Sonntag die Rechnung erhalten.
Sérgio Ferreira, ASTI-Sprecher
Die Resultate der Wahlen sind für ASTI-Sprecher Sérgio Ferreira keine große Überraschung. Aber: „Es ist keine gute Sache, dass eine Partei wie die ADR, die die Migrationsthematik manipuliert, ins Parlament kommt“, sagt er. Die extrem rechten Tendenzen in Europa seien nicht positiv. „Aber im Ergebnis waren die rechten Parteien nicht so stark wie erwartet. Das ist vielleicht etwas Positives.“ Auch wenn die Ergebnisse in Deutschland und Frankreich katastrophal seien.
Es sei wichtig, dass die anderen Parteien in den nächsten Jahren merkten: Ihre Strategie wirkt nicht. „Die nächsten fünf Jahre müssen dazu benutzt werden, das Thema Migration auf die Ebene der Fakten zu bringen“, sagt Ferreira. „Wir dürfen keine Fantasmen schaffen, sondern Fakten. Und Fakt ist, dass Europa Migration für seine Entwicklung braucht. Migration ist Teil der Antwort.“
Die nächste EU-Kommission und das nächste Europaparlament dürften die Probleme nicht unterschätzen. Ferreira: „Sie müssen Alternativen vorschlagen.“
Patrick Dury, LCGB-Präsident
Der Nationalpräsident der Gewerkschaft LCGB, Patrick Dury, verweist im Gespräch mit dem Tageblatt darauf, dass der LCGB vor den Wahlen bereits vor dem Aufschwung rechter Parteien gewarnt habe. Man habe an die Gemeinden appelliert, jene Kandidaten zu unterstützen, die auf ein soziales Europa setzen. „In diesem Sinne ist es klar, dass uns diese Ergebnisse nun beunruhigen“, sagt Dury. Man habe auch bereits in anderen Ländern sehen können, dass aus solchen Tendenzen Regierungen entstehen könnten, die mit „solchen Extremen“ durchsetzt seien. Der LCGB fordere daher von der Regierung „eine andere Politik“, die sich genügend um soziale Themen wie Armut und Lohn, die Verteilung des Reichtums in Europa oder die Kranken- beziehungsweise Pensionskasse kümmert.
Blanche Weber, Präsidentin des „Mouvement écologique“ (Mouveco), sagt im Tageblatt-Gespräch, dass die rechten Tendenzen in den Wahlergebnissen besorgniserregend und befremdlich seien. Jedoch erkenne immer noch die Mehrheit der Parteien im Parlament den Klimawandel als eine Priorität an. Diese Mehrheit müsse nun verantwortungsbewusst handeln. Einen wichtigen Punkt sieht Weber darin, mit den Menschen der Zivilgesellschaft ins Gespräch zu kommen und ihnen die Vorteile der Maßnahmen gegen den Klimawandel näherzubringen und mit ihnen darüber zu diskutieren und zu sprechen. Zudem verstehe sie, dass derzeit viele Menschen die Friedens- und Migrationspolitik nennen würden, wenn sie nach ihren größten Sorgen gefragt werden – das würde sie auch tun. Trotzdem sei der Klimawandel ein Thema, das Handlungen unabdingbar mache. Und diese umzusetzen habe schließlich auch positive Auswirkungen, auch wenn sie einige Änderungen der jetzigen Lebensweise der Menschen bedeuten. Die Alternative sei schließlich, unsere jetzigen Lebensumstände zu zerstören.
Mouveco liege es dabei am Herzen, das Soziale und das Ökölogische zu verbinden. Es brauche auch eine soziale Transition, beispielsweise müsse man sich damit beschäftigen, dass reiche Menschen einen „erheblichen Beitrag zur Klimakrise“ leisten. Die EU sei oft auch ein Spiegelbild der Politik in den einzelnen Ländern. Und die Verknüpfung der Maßnahmen gegen die Klimakrise mit positiven Zukunftsvisionen sei noch nicht in dem Ausmaß gelungen, das es brauche, so Weber. Ende Juni liefen beispielsweise in Luxemburg mehrere Beihilfen für Bürger aus, während noch nicht klar sei, wie es damit weitergeht oder ob diese fortgeführt beziehungsweise ersetzt werden. Mouveco hoffe daher, dass die Politik erkenne, dass es Veränderungen brauche und man die Zivilgesellschaft dabei mit einbeziehen müsse – „bisher erkennen wir das nicht“, sagt Weber.
Sandrine Gashonga, 
Präsidentin von Lëtz Rise Up
„Les résultats de ces élections signifient un accroissement des politiques discriminatoires, de pratiques et d’incidents racistes, ainsi que l’augmentation des attitudes négatives à l’égard des minorités raciales et des droits des femmes“, kommentiert Sandrine Gashonga, Präsidentin der anti-rassistischen und feministischen Organisation Lëtz Rise Up die Wahlergebnisse. Die politische und administrative Stigmatisierung von Minoritäten riskiere, zuzunehmen und dies habe einen unmittelbaren Einfluss auf den Alltag sowie die Sicherheit der Betroffenen. „Cependant, il est encore temps que la société civile antiraciste et les mouvements progressistes européens soutiennent des politiques fondées sur la solidarité, l’inclusion et la justice, qui pourrait être efficace sur le plan électoral et aboutir à un succès dans les urnes pour les prochaines élections“, hofft sie. „C’est crucial pour l‘avenir de tous les peuples et de la planète, ainsi que pour la stabilité et la durabilité de l’Europe.“
Michel Reckinger, UEL-Präsident
Laut dem Präsidenten des Unternehmerverbands UEL, Michel Reckinger, ist man bei der UEL froh, dass die Europawahl „keinen Rechtsruck“ ergeben habe. Zumindest sei das jetzige Ergebnis positiv zu bewerten, wenn man beachte, was sonst noch bei den Wahlen hätte herauskommen können – beispielsweise eine Mehrheit für rechte Parteien im EU-Parlament. Man nehme das Ergebnis bei der UEL zur Kenntnis und wolle nun sehen, was die Gewählten für Entscheidungen treffen. Diese wolle man dann bewerten und dabei beachten, ob die wichtigsten Punkte in die Tat umgesetzt werden. Beispielsweise hoffe man, dass man Europa wieder attraktiver für Investitionen mache, um somit wieder unabhängiger von Amerika und China zu werden, was vorab auch viel diskutiert worden sei. Außerdem sei der UEL wichtig, dass die kommende Politik „weniger von oben herab“ und „näher an den Leuten“ betrieben werde.
Andy Maar, Vorstandsmitglied von Rosa Lëtzebuerg
„Rosa Lëtzebuerg freut sich, dass Marc Angel (LSAP) und Tilly Metz (’déi gréng’) den Sprung ins Europaparlament erneut geschafft haben“, sagt Andy Maar, Vorstandsmitglied von Rosa Lëtzebuerg, auf die Wahlergebnisse angesprochen. Neben Tilly Metz sei auch Marc Angel als Co-Präsident der LGBTIQ+ Intergroup des Europaparlaments ein wichtiger Akteur im Kampf für queere Rechte in Europa. Schockiert ist die Organisation über den Wahlerfolg der ADR, die jetzt in der rechten ECR-Fraktion unter anderem mit der polnischen PiS-Partei zusammensitze. „Durch die PiS hat sich in Polen ein queerfeindliches Klima entwickelt“, erinnert Maar und verweist auf die dort eingeführten „LGBTIQ+ free Zones“. Die ADR selbst mache ebenfalls keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegenüber queeren Menschen. Allgemein sei der europaweite Wahlerfolg rechter Parteien erschreckend für queere Menschen. „Es ist auch beängstigend, dass die EVP und ihre Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen sich nicht klar gegen eine Zusammenarbeit mit Fratelli d’Italia unter Giorgia Meloni aussprechen“, so Maar. „Giorgia Meloni sorgt in Italien dafür, dass die Gültigkeit von Geburtsurkunden von Kindern aus Regenbogenfamilien angefochten wird und höhlt Stück für Stück den Rechtsstaat aus.“ Auch der Sieg des „Rassemblement national“ sowie die bevorstehenden Neuwahlen in Frankreich würden nichts Gutes verheißen. „Wenn es um den Schutz marginalisierter Menschen und LGBTIQ+-Rechte geht, braucht es mehr Europa – nicht weniger“, lautet Maars Fazit.